Demokratie mit hohen Hürden

Vor der Landtagswahl versprechen die Parteien mehr Bürgerbeteiligung. In den Kommunen Nordrhein-Westfalens scheitert bislang jeder zweite Bürgerentscheid

KÖLN taz ■ Auf den Zug der direkten Demokratie springen vor der Landtagswahl alle Parteien gerne auf und bekennen sich in ihren Wahlprogrammen zu mehr Bürgerbeteiligung. Wer wollte schon dem Wahlvolk den Mund verbieten? In der Praxis sieht es mit der plebiszitären Kultur allerdings nicht so rosig aus. Erst rund 330 Bürgerbegehren haben die Einwohner NRWs seit der Einführung des Instruments 1994 angestoßen.

Noch schlimmer: Rund ein Drittel der Begehren wird von vornherein für unzulässig erklärt, weil über eine Reihe von Themen wie zum Beispiel Bebauungspläne gar nicht abgestimmt werden darf. Und die Hälfte der Bürgerentscheide scheitert an der Auflage, dass mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigten mit „ja“ stimmen müssen, damit der Entscheid gültig ist. Kritiker wie Daniel Schily vom Verein „Mehr Demokratie“ bezeichnen dieses so genannte Quorum als Hemmschuh in NRW.

Eine der wenigen Sternstunden der direkten Einflussnahme zwischen den Wahlterminen ereignete sich jüngst in Mülheim an der Ruhr. Dort stimmten die Bürger mit beeindruckenden 82,4 Prozent gegen die Privatisierung von kommunalen Einrichtungen. Für zwei Jahre ist dem Stadtrat nun verboten, Wasserwerke, Nahverkehr und die übrigen Teile der kommunalen Daseinsvorsorge an private Investoren zu übertragen. Die Mülheimer wurden vor dem Urnengang umfassend informiert: In einem „Abstimmungsheft“ hatte die Stadt Argumente für und wider das von Attac und Ver.di organisierte Begehren ausgebreitet. „Vorbildlich“, befanden sogar die selten zufriedenen Plebiszit-Lobbyisten von „Mehr Demokratie“.

Andere Städte wie zum Beispiel Bonn oder Köln warten noch immer auf ihren ersten Bürgerentscheid, der nach Einschätzung des Düsseldorfer Demokratieforschers Andreas Kost immerhin das „Kernstück“ der Bürgerbeteiligung ist. Doch trotz vieler Lippenbekenntnisse ist eine Mehrheit im Landtag für eine Vereinfachung der Bürgerbegehren nicht in Sicht.

SEBASTIAN SEDLMAYR

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