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Archiv-Artikel

BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNER Nirgendwo ist Neukölln kreuzbergerischer

Jan Feddersens Gastro- und Gesellschaftskritik: Das Wirtshaus Eckbert weiß um seine guten Speisen – aber leidet daran, nicht in Kreuzberg zu liegen

Jenseits des Kottbuser Damms ist die Welt ganz nach dem Gusto grünalternativer Mittelschichten: Man grüßt einander auf der Straße, trinkt Caffe latte und keinen Prosecco, weil der ja inzwischen selbst in Rudow keinen Penner mehr beeindruckt.

Die Welt ist so: Es gibt Gegenden, wo man wohnt, und solche, die eigentlich unbewohnt sind. Neukölln beispielsweise, auch der Teil am Kanal, der Maybachufer heißt und zu jenem Bezirk zählt, der eben nicht Kreuzberg ist. Dort ist das Wirtshaus Eckbert beheimatet. Im Vorgarten sitzt man an frischer Luft, drinnen braucht man auch keine sonstigen Showteile. Das Feine ist die Karte. Sie erinnert etwas an jene Küche, die gern der Mutter zugeschrieben wird: deutsch, süddeutsch, besser gesagt. Man serviert gratinierten Ziegenkäse auf Rucola, aber auch ein klassisches Hühnerfrikassee. Der Mittagstisch bietet überwiegend Gerichte nonitalienischer Machart. Worte wie rustikal oder deftig sind keine des Schmähs – aber in der Karte findet sich, da sind wir doch empfindsam, der Hinweis, es würden nur „freilaufende Eier“ verwendet. Nun ja, schöner ist über den Gesundeierwahn nie unfreiwillig gekalauert worden.

Wir waren an einem Dienstag dort, da ist Themenabend „Flammkuchen satt“. Flammkuchen ist, für Norddeutsche, Pfannkuchen mit Schmand und Speck, außerdem Ei bestrichen – ein ausgerollter Crêpe quasi, der sogar mit der Hand gegessen werden kann. Und „satt“ heißt, man bezahlt einen festen Preis und kriegt so viel, wie man schafft. Ein wichtiges Kriterium, um dem eigenen Geiz in Sachen Preis-Leistungs-Verhältnis Nahrung zu geben: Zwei von uns schafften viereinhalb Flammkuchen, die meisten nur zweieinhalb. Ah, schön dünn, doch nicht zu fein, der Speck präzis in Mikrowürfelchen geschnitten, der Teig noch duftig nach Mehl schmeckend – herrlich lecker!

Nur die kreuzbergerische Unsitte, Musiker über die Gäste herfallen zu lassen, ist auch dort zu vermelden: Wer traut sich endlich, einem Mann, bewehrt mit einer Violine, fünf Euro in die Hand zu drücken, damit er nicht spielt – und drei Euro für seinen Kumpel, dessen Überfallinstrument eine Gitarre ist? Ja, gewiss. Es sind Geschundene, Hartz-IV-Opfer, Wandersmänner, Wandervögler womöglich, die der darbenden Mama zu Hause etwas Geld einspielen … Sie nerven trotzdem. Elf Minuten Gefiedel ohne Sinn und Feingefühl.

Kann das Eckbert etwas dafür? Nein. Zeitgeistig hat man für alles Verständnis. Und überhaupt: Nirgendwo in der Stadt isst man Flammkuchen besser, nirgendwo scheinen die Köche ambitionierter, aus Etwas ein Vieles zu machen. Nirgendwo ist Neukölln kreuzbergerischer.

Wir kommen wieder.

WIRTSHAUS ECKBERT, Maybachufer 21, 12047 Berlin, Fon (0 30) 62 72 57 26, Mo bis Fr 11.30 Uhr bis 1 Uhr; Sa und So ab 10 Uhr; Frühstück und Lunch; Hauptgerichte ab 4 Euro, nur dienstags: Flammkuchen satt.