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Archiv-Artikel

Kampf den Grabschern

EMANZIPATION In dem Episodenfilm „Kairo 678“ erzählt Mohamed Diab davon, wie alltäglich sexuelle Belästigung im heutigen Ägypten noch ist, wie das Delikt totgeschwiegen wird und wie sich Frauen langsam dagegen zu wehren beginnen

VON WILFRIED HIPPEN

In Ägypten scheint im Moment alles im Umbruch zu sein. Wie nötig solch eine Veränderung besonders für die Frauen ist, macht dieser im Jahr 2010 produzierte Spielfilm deutlich. Einige Jahre früher hätte er kaum gedreht werden können und so ist er selber auch Teil der Bewegung, die er beschreibt. Sexuelle Belästigung ist in Ägypten alltäglich, wurde aber bisher rigoros totgeschwiegen.

Eine Studie besagt, dass 2008 über 80 % der ägyptischen Frauen davon betroffen waren, doch in diesem Film wird auch die wahre Geschichte jener Frau erzählt, die erst kurz vor der Revolution als erste im ganzen Land eine Klage wegen dieses Deliktes einreichte.

Von der ersten Einstellung an macht der Regisseur Mohamed Diab deutlich, wie bedrängt eine Frau sich in der Öffentlichkeit von Kairo fühlen muss. Bei einer Taxifahrt wird die Kundin vom Fahrer wie ein Stück Gepäck behandelt und im Radio tönt laut ein Schmählied gegen die Frauen, die „alle verrückt“ sind. Die Männer beherrschen die Räume, sei es in den Straßen, Läden, Büros oder den stets überfüllten Bussen, wo jede Fahrt für die fromme Muslima Fayza zu einem Spießrutenlauf wird, weil sie ständig bedrängt und begrabscht wird. Sie ist eine von den drei Frauen, von denen Diab erzählt, und deren Episoden er in der ersten Hälfte des Films etwas unbeholfen und beliebig versucht, zusammenzuführen.

Seba gehört zur Oberschicht, doch trotz ihrer Privilegien wurde auch sie bei einem Fußballmatch das Opfer einer Horde von aufgekratzten Fans. Nachdem sie in ihrer Familie nach diesem Trauma keinerlei Unterstützung erfuhr, und ihr Mann ihr immer nur erzählten konnte, wie schlimm all das für ihn sei, gründete sie eine Selbsthilfegruppe, in der sie Frauen einfache TechHier kann man Meryl Streep unter der Maske von Maggie Thatcher zumindest noch erahnenniken zur Selbstverteidigung beibrachte.

Nelly gehört zur intellektuellen Elite, bewegt sich in modernen, westlich beeinflussten Kreisen, aber auch ihre Familie und ihr Verlobter raten ihr davon davor zurück, Anzeige gegen einen Mann zu erstatten, der sie auf offener Straße angegriffen, unsittlich berührt und beraubt hat.

Die arme, hart arbeitende Fayza leidet am meisten unter den sexuellen Übergriffen. Als tief religiöse Frau schämt sie sich für die Demütigungen, kann mit keinem darüber reden und steht unter solch einem inneren Druck, dass gerade sie beginnt, sich am radikalsten zu wehren. Zuerst mit einer Haarnadel, dann mit einem Messer sticht sie nach den Grabschern und bald haben die Männer Angst davor, in den engen Bussen neben den Frauen zu stehen.

Ein wenig zu mechanisch führt Diab die drei Episoden zusammen und lässt die Frauen über unterschiedliche Methoden des Widerstands streiten.

Aber diese Schwächen des Drehbuchs werden dadurch ausgeglichen, dass Diab mit einem an den italienischen Neorealismus erinnernden Blick authentisch die verschiedenen Milieus und Schichten des modernen Kairos in Szene setzt und eindrücklich das bedrückende Lebensgefühl der Frauen in dieser patriarchalischen Gesellschaft spürbar werden lässt.

Die drei Hauptdarstellerinnen wirken absolut glaubwürdig und identisch mit ihren Rollen und zu Recht wurden auf dem Filmfestivals von Chicago und Dubai Preise für die besten schauspielerischen Leistungen vergeben. Am Schluss kommen die drei Frauen dann durch ihren gemeinsamen Widerstand zusammen und dabei wird „Kairo 678“ ziemlich pathetisch, aber in revolutionären Zeiten sind solche Töne nur angemessen.