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Archiv-Artikel

Die anziehenden Mädchen„Miniröcke als Protest“

LIVING DOLLS Sind junge Frauen mit Lipgloss unemanzipiert? Unterwerfen sie sich Schönheitsidealen, wenn sie sich mehr für Mode interessieren als für Politik? Und was sagen Jungs dazu? Vier Jugendliche geben Auskunft. Protokolle: Simone Schmollack

Mädchen in Highheels und Minirock sind bei Jugendlichen als Schlampen verschrien. Früher habe ich auch so gedacht. Aber seit ich ein paar Freundinnen habe, die nie ungeschminkt aus dem Haus gehen und auch im Winter kurze Röcke tragen, bin ich vorsichtiger geworden mit meinem Vorurteil. Einige von ihnen kleiden sich nämlich bewusst so. Und das nicht, weil sie unemanzipiert sind, sondern aus Widerstand gegen ihre Eltern, wenn die ihrer Tochter zu enge Grenzen setzen.

Seit anderthalb Jahren betreibe ich ein Modeblog. Für mich ist Mode extrem wichtig, darin drückt sich meine Persönlichkeit aus. Ich kaufe regelmäßig Klamotten, auf dem Flohmarkt oder in Second-Hand-Läden. Aber mich interessieren keine knappen Tops, sondern eher weite Oberhemden, die meine weiblichen Reize nicht auf den ersten Blick präsentieren. Zwar schmeichelt es meinem Ego, wenn ich sofort Bestätigung bekomme. Aber zurzeit fühle mich einfach nicht wohl in engen Pullovern.

Ich würde nie meinen Stil ändern, nur weil ein Junge es will. Aber es gibt jede Menge Mädchen, die T-Shirts mit einem großen Ausschnitt tragen, um die Aufmerksamkeit eines Jungen zu bekommen. Das würde ich aber trotzdem nicht als Unterwerfung bezeichnen. Jeder zieht doch etwas Bestimmtes an, um damit dem anderen Geschlecht zu gefallen. Jungs machen das genauso. Mich jedenfalls fragen oft Jungs, ob ich mit ihnen einkaufen gehen kann: Sie wollen Klamotten, die Mädchen gut finden.

Nina Molnar, 17, Berufs- wunsch: irgendwas mit Mode

„Highheels sind unattraktiv“

Viele, die mich zum ersten Mal sehen, denken: Der ist voll tätowiert, der trägt Iro, der hat Tunnel in den Ohrläppchen – der kann nur Unterschicht sein. So funktionieren diese Klischees. Aber wenn die Leute mich dann kennenlernen, sehen sie: Das äußere Bild stimmt nicht mit dem inneren überein. Dann merken sie, dass ich intelligent und gebildet bin und auch nicht aggressiv.

Ich könnte mich ja auch anders kleiden und meine Haare so tragen, dass niemand mehr auf die falsche Fährte gelockt wird. Aber das will ich nicht. Ich will nicht so aussehen wie die meisten anderen. Das, was alle machen, finde ich total langweilig. Ich will unabhängig sein.

Genau das erwarte ich von Mädchen. Stark geschminkte Mädchen in Highheels und Minirock finde ich unattraktiv. Die unterwerfen sich bestimmten Modeansprüchen und damit auch bestimmten gesellschaftlichen Anforderungen, wie eine Frau zu sein hat. In meiner Schule beobachte ich, dass sich immer mehr Mädchen diesem Diktat beugen.

Warum die das machen, weiß ich nicht. Aber ich glaube, die haben kaum Vorbilder, die mit solchen traditionellen Rollenmustern brechen. Manche dieser Mädchen geben sich dümmer, als sie sind. Davon erhoffen sie sich vielleicht, es einfacher zu haben: Sie vermitteln den Jungs das Gefühl, dass die die Zügel in der Hand halten. Diese „Püppchen“ sind in meinen Augen absolut berechenbar, ich jedenfalls ahne immer schon vorher, was sie als Nächstes sagen und tun werden.

Ich will eine Freundin auf Augenhöhe, die so etwas nicht braucht und die sich nicht einem Mann anbiedert. Ich selbst will in einer Beziehung auch nicht die Zügel in der Hand halten. Genauso wenig wie ich das Gefühl haben will, geführt zu werden.

Jasper Stutterheim, 19,

Berufswunsch: Künstler

„Zu Hause will ich meine Ruhe“

Wer behauptet, das Äußere sei nicht wichtig, der lügt. Mit seinen Klamotten und mit der Musik, die man hört, repräsentiert man, wer man ist. Mädchen, die das tun, unterwerfen sich bestimmten Schönheitsidealen und Rollenklischees. Solange sie das freiwillig machen, kann ich darin nichts Dramatisches entdecken. Die meisten sind trotzdem emanzipiert genug. Nur wenn sie es mit der Inszenierung übertreiben, wird es gefährlich.

Ich will später mal eine Familie haben, am liebsten würde ich eine Musterehe führen: Harmonie, keinen Stress, wenig Streit. Zu Hause will ich einfach meine Ruhe haben. Kinder? Ja. Kita? Nö. Mein Frau sollte die ersten Jahre mit den Kleinen daheimbleiben. Wenn sie arbeiten wollen würde, trotz kleiner Kinder, hätte ich ein Problem. Natürlich könnte auch ich bei den Kindern zu Hause bleiben. Aber das würde nicht funktionieren. Einerseits verdienen Männer mehr als Frauen, und da ist es einfach schlauer, wenn die Männer arbeiten gehen. Außerdem suchen sich Frauen ja sowieso am liebsten Berufe, die mit Kindern und Pflege und so zu tun haben.

Ich finde, es ist keine Unterwerfung der Frauen, wenn sich Paare für das traditionelle Modell entscheiden. Das hat schließlich 2.000 Jahre gut funktioniert und den Laden zusammengehalten.

Vincent Steinkohl, 18,

Berufswunsch: keine Ahnung

„Lidschatten = unemanzipiert“

Ich habe zwei kleine Geschwister, einen fünfjährigen Bruder und eine dreijährige Schwester. Beide gehen in dieselbe Kita. Dort gibt es eine Mädchenspielecke mit Handtaschen und Haarspangen. Und eine für Jungs mit Baggern und Bauklötzen. Das finde ich schlimm. Auf diese Weise werden schon früh Geschlechterstereotypen anerzogen. Jungs erfahren, dass sie nicht mit Puppen spielen dürfen, und Mädchen lernen, dass sie vor allem eines sein sollen: schön. Und das wirkt fort.

Viele Mädchen in meinem Alter glauben, sie seien trotz Lipgloss und Lidschatten voll emanzipiert. Ich sehe das anders. Für diese Mädchen ist es sehr wichtig, wie sie sich kleiden und wie sie aussehen. Sie denken über ihre Mode intensiver und öfter nach als beispielsweise über Politik. Wenn das Äußere solch einen großen Raum im Leben einnimmt, nenne ich das Unterwerfung. Und das ist das Gegenteil von Emanzipation.

Viele dieser Mädchen lassen es sich auch gefallen, wenn Jungs mit ihnen respektlos umgehen. Zum Beispiel kann es passieren, dass ein Typ zu einem Mädchen sagt: „Bock auf ’nen Fick?“ Mit mir dürfte so keiner reden. Andererseits finde ich es okay, wenn es einfach auch mal nur um Sex geht. Dann sollte es für beide aber von Anfang an klar sein.

Josepha Christ, 17, Berufswunsch: Ärztin