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Archiv-Artikel

Anfänger unter sichDie Distanzierte

PERSONAL Sieben der acht Senatoren haben keine Regierungserfahrung. Sie gehen sehr unterschiedlich damit um. Zwei PorträtsDILEK KOLAT Berlins erste Senatorin mit Migrationshintergrund ist waschechte SPD-Frau – tut sich jedoch schwer mit Integrationspolitik

„Derzeit steht Heilmann zwischen zwei und zwei plus“

SVEN KOHLMEIER, SPD

VON ALKE WIERTH

Das ist sie nun: Berlins erste Senatorin mit Migrationshintergrund – die Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen, Dilek Kolat (SPD). Sie in die SenatorInnenriege zu holen schien ein klassischer Wowereit-Coup zu sein. Denn die 45-Jährige erfüllt viele Ansprüche, die ein Regierungschef heute an MinisterInnen stellen kann: Als Frau und Migrantin bringt sie der Partei den zeitgemäßen Touch, gleichzeitig hat sie sich aber auch durch die traditionelle Ochsentour der alten Berliner SPD hochgedient. 1995 zunächst Bezirksverordnete, ist sie seit acht Jahren Kreisvorsitzende der SPD Tempelhof-Schöneberg und seit 2001 Landtagsabgeordnete. Sie gehört dem Landesvorstand und dem Bundesparteirat an.

Zudem verfügt Kolat über eine gerade in Berlins Politik äußerst wichtige Qualifikation: Sie kann gut rechnen. Die studierte Mathematikerin war Controllerin bei einer Bank und profilierte Finanz- und Haushaltspolitikerin ihrer Fraktion.

Dadurch, dass die gebürtige Türkin bisher gerade nicht in der Integrationspolitik aktiv war, verschaffte sie sich breite Anerkennung – denn MigrantInnen, die sich in anderen Bereichen profilieren können, sind noch selten in der deutschen Politiklandschaft.

Dass ihre finanzpolitische Erfahrung ihr bei der Lösung vieler „Rechenaufgaben“ (Kolat) hilfreich sein würde, die als Senatorin auf sie zukommen, leuchtet ein. Rechnerisch kühl und sehr pragmatisch ist etwa ihre Haltung im Konflikt mit der eigenen Fraktion um den Stundenlohn im öffentlichen Beschäftigungssektor, den die Koalition „BerlinArbeit“ nennt und umgestalten will. 8,50 will die Fraktion – einen Euro weniger hält Kolat für möglich. Ein „Meinungsbild“ habe die Fraktion zwar abgegeben, so der Kommentar der Senatorin zur Diskussion – entscheiden werde aber der Senat.

Auch im Bereich der Integration scheut sie keine Konflikte: Kurz nach Amtsantritt kündigte der ihr unterstellte Integrationsbeauftragte des Senats, Günter Piening. Er hielt die Umsetzung seiner Auffassung von Integrationspolitik mit dem Koalitionspartner CDU für unmöglich. Nüchtern und machtbewusst auch hier Kolats Reaktion: Sie bedauerte den Rücktritt, gab aber dennoch bekannt, in der Zusammenarbeit mit der CDU in diesem Bereich „Kontinuität“ zu erwarten. Zur Äußerung des integrationspolitischen Sprechers der Christdemokraten, Burkard Dregger, Integrationspolitik müsse auch diejenigen 50 Prozent der Bevölkerung einbeziehen, die „Angst“ vor Zuwanderung hätten, sagte Kolat nur, die „Mehrheitsgesellschaft“ müsse eben auch berücksichtigt werden. Die Koalition mit der CDU sei eine „Chance, Integrationspolitik auf eine breitere Basis zu stellen“.

Dass die neue Senatorin mit Begriffen wie „Herkunftskultur“ und „Mehrheitsgesellschaft“ arbeitet und Kenntnisse von Fremdsprachen für einen Nachweis interkultureller Kompetenz bei Menschen ohne Migrationshintergrund hält, verrät, dass sie integrationspolitisch tatsächlich nicht auf dem neuesten Stand ist – längst wird über Vielfalt und neue Formen von Kultur in der Einwanderungsgesellschaft diskutiert.

Neben dem Wunsch, den Koalitionsfrieden zu wahren, steckt dahinter wohl vor allem eines: Integration ist schlicht nicht ihr Thema. Kürzlich besuchte die neue Senatorin die Sehitlik-Moschee, die einen Hassbrief von Islamfeinden erhalten hatte. Die Worte, die sie fand, waren zwar richtig: „Wir sind eine Gesellschaft und lassen uns nicht spalten in Berlin.“ Doch auch wenn Kolat berichtet, selbst ohne Deutschkenntnisse in die Grundschule gekommen zu sein, bleiben solche Sätze bei ihr trotzdem merkwürdig spröde. Ihr fehlt es an genau der emotionalen Verbundenheit, die gerade von Politikern mit Migrationshintergrund oft erwartet wird.

Das illustriert auch ausgerechnet ein nicht vorhandenes Bild: Beim Besuch des Gebets in der Moschee legte sich Dilek Kolat zwar traditionsgemäß ein kleines Tuch über das Haar – Fotos durften davon aber nicht gemacht werden.

Der Anti-Jurist

THOMAS HEILMANN Er arbeitet, als ob er nie Jura studiert hätte: ausprobieren, die Praxis entscheiden lassen. Das kommt bislang auch bei der Opposition gut an

VON STEFAN ALBERTI

Manche Menschen muss man lange studieren, um ihre prägenden Charakterzüge zu erkennen. Thomas Heilmann gehört nicht dazu. Beim neuen Justiz- und Verbraucherschutzsenator der CDU ist es ein Satz, der seine Herangehensweise auf den Punkt bringt: „Meine Haltung ist: Grau ist alle Theorie, lasst uns das mal ausprobieren.“

Heilmann bezog sich damit auf die elektronische Fußfessel, die Berlin bald einführen wird. Als er erst sechs Tage im Amt war, musste er zum ersten Mal in den Rechtsausschuss des Parlaments und handelte nach derselben Maxime. Andere hätten erst mal geschaut, wie die Abgeordneten ticken – vor allem die versierten Rechtspolitiker der Grünen und der Linkspartei. Das jedoch ist nicht Heilmanns Ding: Er kam gleich mit einer ganzen Liste voller Ideen in die Sitzung, wie man den Handel mit Schrottimmobilien eindämmen könnte.

Über dieses Thema war sein Vorgänger Michael Braun (CDU) im Dezember gestolpert, weil er als Notar Geschäfte dieser Art beurkundet haben soll – es folgte der erfolgreiche Unternehmer Heilmann, 47 Jahre alt, Mitgründer der Werbeagentur Scholz & Friends, Quereinsteiger in der Berliner CDU und seit drei Jahren ihr Vizechef.

Die Liste, die der neue Senator im Rechtsausschuss präsentierte, hätte bereits besser ausgearbeitet sein können. Aber das Prüfen bis in die letzten Nuancen wäre nicht bis zur Sitzung abgeschlossen gewesen. Und nach der Affäre um Braun musste vor allem eine schnelle Ansage her: Nach einem blauen Brief wirkt auch eine Zwei in der nächsten Klausur wie eine Eins. Heilmann telefonierte also mit dem Vorsitzenden der Justizministerkonferenz der Bundesländer und einigte sich auf eine gemeinsame Linie. Wenn er als Werbeprofi eines mit in sein Amt gebracht hat, ist es das Wissen um die Kraft des Moments.

Da könnte man jetzt sagen: So sind sie eben, die BWLer. Aber Heilmann, der zwar vom Typ her der völlige Anti-Jurist ist – der nicht auf die Bremse tritt, der nicht auf Nummer sicher geht und für den das Glas immer halb voll statt halb leer ist –, ist sehr wohl Jurist. Er hat beide Staatsexamen bestanden und war damit formell befähigt, Richter zu werden.

Und heiße Luft präsentierte er eben auch nicht: Auf seiner Liste stehen pragmatische Vorschläge im Kampf gegen dubiose Immobilienhändler. Sogar der rechtspolitische Spreche der Linksfraktion, Klaus Lederer, sagte, Heilmann solle mal machen. Er wie andere Oppositionspolitiker waren angetan, dass Heilmann sie schon zuvor über seinen beabsichtigten Vorstoß informiert hatte. Das könne ein neuer Stil im Umgang zwischen Regierung und Opposition werden, sagte der Grüne Dirk Behrendt.

Nun könnte es ja manchem in der CDU Sorge bereiten, dass Heilmann derzeit sogar mehr Medienaufmerksamkeit bekommt als Parteichef Frank Henkel. Doch gibt es bislang keinen, der das zumindest halblaut äußern würde. Das ginge auch schlecht: Heilmann, einer der Macher des Wahlerfolgs der CDU und eigentlich nur am Bildungsressort interessiert, das aber an die SPD ging, stand zur Verfügung, als Henkel dringend einen Nachfolger für Braun suchte. Dankbarkeit ist selten in der Politik – aber auch die CDU könnte es sich derzeit nicht leisten, an Heilmann zu kritteln.

Das gilt umso mehr, als nicht nur die SPD, sondern die komplette Opposition sein bisheriges Wirken positiv beurteilt. „Zwischen zwei und zwei plus“, benotet SPD-Rechtspolitiker Sven Kohlmeier. Effekthascherisches kann er nicht erkennen: „Wenn man so schnell Vorschläge macht, wird einem das schnell als Aktionismus ausgelegt. Macht man nichts, gilt es als Faulheit – da ist mir der Vorwurf des Aktionismus doch lieber.“ Pirat Simon Weiß lobt seine Offenheit, der Grüne Behrendt spricht von einem engagierten Start. Das sieht auch Lederer von der Linkspartei so. Dessen Erwartungen an einen CDU-Senator waren allerdings ohnehin nicht groß: „Ich bin froh, dass wir keinen erzkonservativen Justizsenator bekommen haben, für den Wegsperren alles ist.“