BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN : Große Freiheit Nummer 7
Um sich im Osten scheiden lassen zu können, musste die Ehe „ihren Sinn verloren“ haben. Auch für die Gesellschaft
Am 24. Mai wird meine Scheidung bekannt gegeben. Dann gibt es vor dem Familiengericht in Berlin-Kreuzberg einen „Termin zur Verkündung einer Entscheidung“. Damit habe ich es tatsächlich geschafft, im verflixten siebten Jahr zu scheitern.
Dabei hatte ich mir reichlich Zeit gelassen mit dem Heiraten. Ich war 34, als mir das Jawort über die Lippen kam. Zu DDR-Zeiten hätte mich alleine das von der Volkskammer beschlossene Familiengesetzbuch abgeschreckt, das nicht nach trauter Zweisamkeit, sondern nach einem Pakt mit dem Teufel klang. „Mit dem Aufbau des Sozialismus entstanden gesellschaftliche Bedingungen, die dazu führen, die Familienbeziehungen von den Entstellungen und Verzerrungen zu befreien, die durch die Ausbeutung des Menschen, die gesellschaftliche und rechtliche Herabsetzung der Frau, durch materielle Unsicherheit und andere Erscheinungen der bürgerlichen Gesellschaft bedingt waren.“
Nee, das war nix für mich. Ich wartete, bis sich die gesellschaftlichen Bedingungen zum Besseren gewandelt hatten. Das Bürgerliche Gesetzbuch überzeugte mich mehr. Dort regelt Paragraf 1353 die „Eheliche Lebensgemeinschaft“. In Absatz 1 steht kurz und bündig, dass „die Ehegatten zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet sind“. Absatz 2 stellt aber auch klar, dass ein Ehegatte „nicht verpflichtet ist, dem Verlangen des anderen Ehegatten nach Herstellung der Gemeinschaft Folge zu leisten, wenn sich das Verlangen als Missbrauch seines Rechts darstellt oder wenn die Ehe gescheitert ist“.
Weil ich mir so viel Zeit mit dem Heiraten gelassen hatte, gab ich mich nicht mit einem schnöden Standesamt zufrieden. Es musste was Besonderes sein. So etwas wie die Barkasse „Libelle“, ein museumsreifes Schiff aus Hamburg, Baujahr 1926, das seit einigen Jahren im historischen Berliner Hafen liegt. Standesgemäßer hätte ich kaum in den Hafen der Ehe einlaufen können. Auf dem Kahn wurde eine Heiratsszene für den Film „Große Freiheit Nummer 7“ gedreht.
Dabei hatte ich jahrelang geglaubt, nicht für einen einzigen Mann bestimmt zu sein. Als Studentin suchte mich ein Albtraum heim, der mich ziemlich mitnahm. In dem Traum sah ich mich in einem Aufzug, der so gar nicht zu mir passte. In einem weißen Kleid mit Schleier und Schleppe stand ich vorm Traualtar. Wer der Auserwählte war, konnte ich leider nicht erkennen. Aber das war auch nicht so wichtig. Die eigentliche Überraschung bestand für mich darin, dass ich mich für einen einzigen Mann entschied.
Mit feuchten Augen gelobte ich Treue, in guten wie in schlechten Zeiten. Als wir vor der Kirche standen, sah ich auf der anderen Straßenseite einen Mann, der mir so gut gefiel, dass ich meinen Treueschwur sofort vergaß. Ich raffte meine Schleppe, rannte über die Straße und machte mich mit dem anderen aus dem Staub. Schweißgebadet wachte ich auf und beschloss, niemals zu heiraten.
Weil Vorsätze dazu da sind gebrochen zu werden, habe ich mich natürlich nicht an meinen Beschluss gehalten. Nur leider stellte sich der in der Schule gelernte sozialistische Grundsatz „Alle Menschen sind gleich. Unabhängig von ihrem Bildungsgrad, ihrer Hautfarbe oder Herkunft“ als falsch heraus.
Im Osten durfte eine Ehe nur dann geschieden werden, wenn das Gericht festgestellt hatte, dass ernstliche Gründe vorlagen, „aus denen sich ergibt, dass diese Ehe ihren Sinn für die Ehegatten, die Kinder und damit auch für die Gesellschaft verloren hat“.
Im Westen wird eine Scheidung schon dann vollzogen, wenn sie das hässliche Attribut „zerrüttet“ verdient und die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wiederhergestellt werden soll. Punkt. Der Gesellschaft ist das schnurzegal.
Von Heiratsanträgen bitte ich trotzdem vorerst abzusehen. Nach dem Verkündungstermin läuft eine „Rechtsmittelfrist“ von einem Monat. Erst wenn die abgelaufen ist, bin ich endgültig und rechtskräftig geschieden. Ich will es zwar nicht hoffen, aber vielleicht legt ja die Gesellschaft Widerspruch ein.
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