: Der englische Patient
INDIE-BAROCK Obwohl die hymnischen Höhepunkte in den Hintergrund getreten sind, vergießen gerührte Fans hier noch echte Tränen: Die britischen Tindersticks stellen ihr aktuelles Album „The Something Rain“ vor
VON NILS SCHUHMACHER
Der Himmel nimmt eine traurige Gestalt an. Darunter stochern die Leute unschlüssig in ihrem Schicksal herum. Das Land ist von einem warmen Wind erfasst, der ihnen die Kleidung durcheinanderbringt. Eine Tür knarrt. Und in diesem ganzen trostlos-absurden Szenario biegt dieser Tage niemand anderes als die Tindersticks um die Ecke, deren Mitglieder ihrer Musik nach zu urteilen auch nur noch von Narben zusammengehalten werden, sich aber wacker geben. Fast ist man geneigt, diese Band eine zu Musik gewordene Carson McCullers zu nennen: die angeschlagene Atmosphäre, die wundervolle Musikalität und die am Pop-Gedanken stoisch vorbeimusizierende Art erinnern zumindest stark an die „Gebete für Verlierer“ (Peter Henning), die die amerikanische Autorin hinterließ. Und mit etwas Anstrengung lässt sich sogar die distinguierte, manche sagen snobistische Art, mit der die stets akkurat gekleideten Engländer ihre Konzerte bestreiten, in diesem Bild unterbringen, denn das Auftreten als englische Upperclass-Dandies wirkt bei all dem Schmerz doch auch nur wie eine kleine Groteske, die niemand so recht für einen Ausdruck von Arroganz halten kann.
1991 in Nottingham gegründet, baute die Band um den an melancholischer Stimmung wohl nicht eben armen Stuart Staples bis 2003 auf insgesamt sechs Alben ihr ganz eigenes Universum auf, an dem manche Mode des Pop-Betriebs schlicht abprallte. Die Platten waren bei aller Unterschiedlichkeit im Grundton düster, immer komplex komponiert und opulent arrangiert. Wo andere sich ein paar Streicher suchten, buchten sich die Tindersticks ein ganzes Orchester, ließen es am Ende oder inmitten der Songs mit den Muskeln spielen und es dann wieder in sich zusammenzufallen. Und bei all dem, und dies ist dann wohl die große Kunst, fiel noch der hymnischste Moment zart aus und wurde noch der schwerste Brocken durch lässig-schwingende Rhythmen zu einem seltsam homogenen Zusammentreffen aus englischem Patienten und südamerikanischer Lebensart in Moll.
2003 löste man sich auf. Staples nahm in Folge zwei überraschend karge Alben auf, die klangen wie aus einem Skizzenbuch gefallen und siedelte nach Frankreich über. Dort traf sich die Hälfte der Band, neben Staples Pianist und Keyboarder David Boulter und Gitarrist Neil Fraser, nach einigen Jahren der Ruhe wieder und meldete sich 2008 mit einem neuen Album zurück. „The Hungry Saw“ knüpft in Bezug auf die Gesamtstimmung einerseits hörbar an die Vorgänger an, steht gleichzeitig aber auch für den Einstieg in eine Phase nachlassender Opulenz und leicht anwachsender Experimentierfreude, wobei das Wort Freude in Bezug auf diese Band natürlich mit äußerster Vorsicht zu genießen ist. Auf „Falling down A Mountain“ (2010) nimmt dieser Weg, aus Sicht der Band vermutlich geradezu ein Ritt in die Moderne, noch immer eher tastend, weiter Gestalt an.
Das dieser Tage erschienene „The Something Rain“ dokumentiert dann wohl das bisher stimmigste Resultat dieser Neuerfindungsprozedur. Ganz große Befürchtungen muss dabei niemand haben. Zumindest Staples’ tiefe, leicht nasale Stimme, das ewige Vibrato, dieser seltsam nuschelig bis knödelige Gesang, der einen stets eher an den US-amerikanischen Süden als an die East Midlands denken lässt, stellt weiterhin das prägende Element dar. Daneben herrscht aber unüberhörbar der Versuch, aufgeräumte Atmosphäre zu verbreiten. Stark zurückgenommene Streichersätze müssen sich den Platz nun mit Blasinstrumenten teilen, mit größter Vorsicht wird Elektronik entdeckt. Die ganz großen hymnischen Höhepunkte sind in diesem Zuge allerdings auch mehr oder weniger in den Hintergrund getreten. Schade für jene, die diese leicht kitschig-schwülstigen Momente besonders liebten. Sie könnten es nun stellenweise etwas langweilig finden. Live wird diese Gefahr aber wohl nicht drohen, denn hier, so heißt es, vergießen gerührte Fans noch echte Tränen. In etwa wie bei Carson McCullers.
■ Di, 13. 3., 20 Uhr, Thalia Theater, Alstertor 1