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Archiv-Artikel

Die großen Gefühle

Das Blaumeier-Ensemble nimmt seine „Carmen“-Inszenierung mit dem Bremer Kaffeehaus-Orchester wieder auf. Bereits jetzt sind vier von sechs Vorstellungen ausverkauft. Ein Probenbesuch

Früher wurden hier Sonderposten verkauft. Im Hinterhof, auf nacktem Betonboden. Jetzt soll hier geboxt werden. Eine junge Frau im Trainingsanzug und ein blonder Mann laufen sich warm, sie machen Liegestütze und schreien in der Gegend herum. „Huhu“, ruft der Wetthai. „Wetten Sie“ ruft er. „Autos, Swimmingpools voll Geld. Diese Augen lügen nicht“. Das Publikum ist entzückt.

Eigentlich sitzt hier ja kein Publikum, sondern Regisseurin Imke Burma, Hellena Harttung, die Sprecherin des Blaumeier-Ateliers und natürlich die anderen Schauspieler und Musiker: Das Bremer Kaffeehaus-Orchester, und „Don Bleu“, der Blaumeier-Chor, der sich gerade als Kampfpublikum aufgestellt hat. „Knochen brechen, hauen und schlagen“, ruft der Wetthai erfreut und betrachet die Kontrahenten. Und dann hüpft er zur Seite und lässt sich auf den Boden fallen. „Es muss weh tun“, denkt man. Der Schauspieler, der den Wetthai verkörpert, hat nur ein Bein und seine Arme sind verkürzt.

Aber niemand macht ein Aufhebens darum. Bei Blaumeier arbeiten behinderte und nicht-behinderte Menschen, solche mit Psychiatrie-Erfahrung und solche ohne, gemeinsam an künstlerischen Projekten. „Die entstehenden Produkte werden allein unter künstlerischem Aspekt betrachtet“, heißt es im Blaumeier-Programm und das ist beeindruckend in einer Stadt, die Kunst gerne allein unter sozialpädagogischen Kriterien begutachtet.

Aber so ist es nicht weiter erstaunlich, dass Hellena Harttung gar nicht weiß, wie viele der Schauspieler und Sänger behindert und wie viele unter ihnen es nicht sind. Auf der Bühne singt gerade der Polizeichef „Wohlan, so geht es nicht, wenn jeder macht, was er will“ und das ist sicher auch bei Blaumeier richtig. Aber das Arbeitsprinzip ist basisdemokratisch: Die Stücke werden in Improvisationen gemeinsam erarbeitet. Wenn die Boxkämpfer beim Aufwärmen probeweise brüllen und dann etwas, das aussieht wie ein Kilometerzähler, prüfend betrachten, sieht das aus wie ein pantomimischer Lautstärke-Wettkampf. Ist es das? Regisseurin Imke Burma zuckt lachend die Achseln. Sie weiß es nicht. Schlüssig ist es allemal. Ihr sind bei der Inszenierung vor allem die großen Gefühle wichtig, die hier verhandelt werden: „Liebe, Leidenschaft und die unerfüllte Sehnsucht darin“. „Ein Stück über Gentechnik würde die Schauspieler nicht so unmittelbar ansprechen“, sagt Hellena Harttung. Dass das bei „Carmen“ anders ist, vermittelt sich sehr deutlich in der Spielfreude, die Schauspieler und Musiker gleichermaßen verbreiten. Warum sonst sollten die vier Aufführungen im Schauspielhaus, in das Intendant Pierwoß eingeladen hat, bereits jetzt ausverkauft sein? Karitative Gründe, soviel ist sicher, sind es nicht.

Friederike Gräff

Der Vorverkauf für die Vorstellungen am 22./23.6. im Bürgerpark Bremen beginnt am 17.5.