: Visionen vom Rande der Gesellschaft
ANTIZIGANISMUS Die Berliner Jugendorganisation Amaro Foro engagiert sich für ein Europa ohne Diskriminierung
Gibt es in Europa noch Raum für soziale und politische Utopien? Die Studentin Anna Friedrich engagiert sich gegen Antiziganismus, die Stigmatisierung von Menschen als Zigeuner. Seit einem Jahr ist sie Aktivistin bei Amaro Foro, einer Jugendorganisation von Roma und Nichtroma in Berlin. Die Aufgaben des Vereins reichen von Sozialberatung über Vernetzung von antirassistischen Bewegungen bis hin zur Organisation von transnationalen Jugendbegegnungen.
Auf die Arbeit von Amaro Foro wurde Anna Friedrich aufmerksam, als sie sich im Rahmen eines Studienprojekts an der Humboldt-Universität zu Berlin fragte: Wer entwirft andere als die gängigen Visionen von Europa? Visionen, die weiter reichen als die Grenzen der EU? In dem Projekt „Andere Europas – Soziale Imaginationen in transnationalen Bewegungen und urbanen Öffentlichkeiten“ suchen Studierende des Instituts für Europäische Ethnologie seit Oktober 2010 nach alternativen Konzepten von Europa, die in der lokalen Arbeit von Initiativen in Berlin sichtbar werden.
Welche Visionen für Amaro Foro zentral sind, zeigt sich für Anna Friedrich an den „heterotopischen Räumen“, die der Verein eröffnen möchte. Der Begriff geht auf den französische Philosophen Michel Foucault zurück und meint Experimentierräume, die sich zwar in der bestehenden Gesellschaft befinden, in denen übliche Umgangsformen aber negiert oder umgedeutet werden. Ein Beispiel für einen heterotopischen Raum sind die internationalen Jugendbegegnungen, die Amaro Foro organisiert. Durch einen Austausch auf Augenhöhe sollen Roma aus verschiedenen Ländern Europas Erfahrungen machen, die nicht von Ausgrenzung geprägt sind.
Antiziganismus existiert in Europa seit Jahrhunderten. Erst kürzlich verteilte die rechtspopulistische Partei Pro Deutschland Flugblätter in Berlin-Neukölln und -Treptow, auf denen Roma als „Ausbeuter des Sozialstaates“ dargestellt wurden.
Amaro Foro und zahlreiche weitere Initiativen reagierten mit einer Demonstration unter dem Motto „Willkommen in Neukölln! Willkommen zu Hause!“. Die Flugblätter belegen für Anna Friedrich, dass es in Europa nach wie vor eine Kultur des Ausschlusses gibt. „Durch die Demonstration wollten wir den Betroffenen zeigen, dass wir für sie da sind“, sagt sie.
Aber gehen die Visionen in der alltäglichen politischen Arbeit nicht verloren? „Wir sind zwar nur ein kleiner Verein in einer riesigen antiziganistischen Welt“, sagt Eduard George Caldararu, Mitarbeiter bei Amaro Foro. „Aber wir unterstützen alle Menschen, die zu uns kommen, damit sie ihre Rechte kennen.“ Caldararu hat eine Vision von Europa, in der auch Minderheiten gesellschaftliches Mitbestimmungsrecht haben und die Benachteiligung von Roma aufhört.
Seit 2008 ist Amaro Foro Mitglied bei ternYpe, einem transnationales Netzwerk von Roma-Jugendorganisationen aus ganz Europa. Dass die albanische Jugendorganisation „Roma Active Albania“ eines der Gründungsmitglieder von ternYpe ist, zeigt, dass die Vernetzung nicht mit den EU-Grenzen endet. Auch das gehört zu Anna Friedrichs Vision eines Europas ohne Antiziganismus: ein Europa ohne Grenzen innerhalb und außerhalb des Kontinents. KERSTIN DEMBSKY