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„Ein verzweifelter Hilferuf“

Hungerstreiks führen nur noch selten zu einer Haftentlassung, sagt Pfarrer Dieter Ziebarth (64), Seelsorger für die evangelische Kirche im Abschiebegefängnis Grünau

taz: Herr Ziebarth, wieso gibt es im Abschiebegewahrsam immer wieder Hungerstreiks?

Dieter Ziebarth: Es sind stets die gleichen Probleme. Die Häftlinge beklagen sich über lange Haftzeiten und sind frustriert wegen der undurchsichtigen Verfahren bei der Ausländerbehörde, sie fühlen sich uninformiert, Gespräche gibt es nur selten; und wenn, sind sie sehr kurz. Die Betroffenen fühlen sich ausgeliefert.

Ist es wirklich Zufall, dass es regelmäßig ausgerechnet zu Hungerstreiks kommt?

Anknüpfungen an vorige Hungerstreiks kann es nicht geben, weil die Streikenden oft gar nicht dieselben sind, ihre Vorgänger ja nicht einmal kennen.

Gäbe es andere Protestformen für die Häftlinge?

Die wenigsten haben genug Geld für einen Anwalt. Flüchtlingsorganisationen können auch nur bedingt helfen. Die Häftlinge sehen keine andere Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen.

Der Innensenator hatte angekündigt, die Haftbedingungen in Grünau zu verbessern. Was ist daraus geworden?

Vor etwa anderthalb Jahren hat es tatsächlich spürbare Verbesserungen gegeben. Die Häftlinge haben eine verlängerte Freistunde, die Besuchsregelung ist großzügiger. Aber seit einiger Zeit stagnieren die Reformbemühungen. So gibt es teils immer noch Innengitter. Die Klagen über das Essen wollen auch nicht verstimmen. Und Misshandlungen durch Beamte sind zwar nicht die Regel, kommen aber vor und werden selten aufgeklärt.

Wie gehen die Behörden mit den Hungerstreiks um?

Bei der Ausländerbehörde gibt es inzwischen eine prinzipielle Verweigerungshaltung nach dem Motto „Wir lassen uns nicht erpressen“. Sie sind längst abgestumpft, und anders als vor ein paar Jahren führt ein Hungerstreik deswegen auch nur noch selten zu einer Haftentlassung.

Die Polizei berichtet, dass einige Häftlinge zwar die „amtlich angebotene Nahrung“ verweigern, aber von Besuchern mit Lebensmitteln versorgt würden. Verliert der Hungerstreik an Glaubwürdigkeit?

Ich habe nie gesehen, dass Streikende Nahrung von Besuchern angenommen haben. Klar gibt es Unterschiede. Einige sagen: Bis zum Tod. Bei anderen ist die Entschlossenheit nicht ganz so stark. Aber bei allen ist es ein verzweifelter Hilferuf. Den kann ich nicht und darf eigentlich auch sonst keiner ignorieren.

Sie sind Pfarrer – wie lässt sich ein Hungerstreik mit Ihrem Glauben vereinbaren?

Ein Hungerstreik ist ein Spiel mit dem Leben, zu dem ich als Pfarrer natürlich nicht ermutigen kann. Zudem sehe ich, dass die Chancen, damit etwas zu erreichen, immer geringer werden. Aber ich respektiere, wenn jemand diese Entscheidung für sich getroffen hat. Ihnen den Hungerstreik ausreden kommt für mich deshalb nicht infrage.

INTERVIEW: FELIX LEE

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