: Ein Akt der Aggression
Simone Bittons Dokumentarfilm über die Mauer zwischen Israel und den Palästinensern
Die Behörden sprechen euphemistisch von einem „Sicherheitszaun“. De facto handelt es sich um eine mächtige Mauer, die der Staat Israel zwischen sich und den Palästinensern aufrichtet. Sechs Meter hoch sind die Betonblöcke auf dem Land, die ein Kranfahrzeug in Position bringt. In der Stadt, in den dicht besiedelten Gebieten, sind sie niedriger und mit Graffiti behübscht.
Mit einer langen Kamerafahrt entlang dieser Absperrung beginnt Simone Bitton den Dokumentarfilm „Mauer (Mur)“. Sie fühlt sich persönlich herausgefordert von diesem Bauwerk. Es zieht sich gewissermaßen durch ihre Persönlichkeit, denn Bitton ist eine marokkanische Jüdin mit arabischer Muttersprache. 1966 übersiedelte die Familie nach Jerusalem. Während des Krieges von 1973 leistete Bitton ihren Militärdienst. Sie lebt inzwischen in Paris, kehrt für Reportagen aber häufig nach Palästina zurück.
Der Film „Mauer“ aber geht über journalistische Ansätze deutlich hinaus. Mit ihrem französischen Team sammelt Bitton kontemplative Momentaufnahmen aus einem Land, das seinem Belagerungszustand mit dem „Sicherheitszaun“ Dauer gibt. Da die Filmemacherin Hebräisch und Arabisch spricht, bewegt sie sich problemlos auf beiden Seiten. Sie sammelt paradoxe Beobachtungen, wenn sie einen arabischen Bauarbeiter trifft, der gegen gutes Geld am der Mauer mitbaut, die ihm den Zugang zu seiner Heimat versperren wird. Ein anderer Araber hat Angst vor der Kamera: „Wenn ihr mich filmt, bringt die PLO mich um.“
Häufig bleibt der Kameramann Jacques Bouquin deswegen auf Distanz, während die Unmittelbarkeit zu der jeweiligen Szene durch den Ton hergestellt wird. Die einzige offizielle Stellungnahme in „Mauer“ kommt von Amos Yaron, Generaldirektor des israelischen Verteidigungsministeriums. Er lässt sich zwischen zwei Flaggen filmen und benennt die bekannten Gründe Israels für die Mauer: Schutz vor Terrorismus, vor Kriminalität. Eine zusätzliche Kontroverse um die Mauer entsteht durch ihren Verlauf, der an vielen Stellen von der offiziellen Grenze des Staates Israel abweicht und strategische Geländegewinne mit sich bringt. Die Palästinenser werden umgekehrt vielerorts von ihren Erwerbsquellen abgeschnitten oder können nicht mehr zu Freunden. An vielen Stellen ist die Mauer mehr als nur ein Betonwall, sondern eine elektronisch überwachte Zone, eine bis zu fünfzig Meter breite Schneise durch ein Gebiet, in dem Kulturland kostbar ist.
Gegen Ende bringt Simone Bitton die Situation technologisch auf den Punkt: Mit einem Freund, der im Gaza-Streifen lebt, lässt sie sich aus dem nahen Ramallah via Satellitentelefon verbinden. Sie kann ihn nicht treffen, um ihm Fragen zur Psychologie der Einschließung zu stellen. Ohnehin wird aus ihrem Film nur zu deutlich, dass Israel in einer neurotischen Situation lebt. Häufig erinnert „Mauer“ an den Dokumentarfilm „Route 181“ von Michel Khleifi und Eyal Sivan, einem Palästinenser und einem Juden, die 2002 eine Recherchereise entlang der Grenzlinie der UNO-Resolution 181 von 1947 unternahmen. Der damalige Trennungsvorschlag zielte auf zwei Staaten und eine Möglichkeit des gemeinsamen Lebens. Die Mauer, wie Bitton sie dokumentiert, zielt nun nicht auf die Festschreibung eines Status quo – sie ist selbst ein Akt (und ein Instrument) der Aggression, hinter der die Autoaggression deutlich sichtbar wird. BERT REBHANDL
„Mauer“ (Mur), Regie: Simone Bitton. Frankreich/Israel 2004, 96 Min.