„Gigantische Zirkulation“

Diskussion über länderübergreifende Proteste

■ 42, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität Hamburg. Er forscht vor allem zu Migration und urbanen Paniken.

taz: Herr Tsianos, gibt es einen Zusammenhang zwischen den Protesten im arabischen Raum und denen in Europa?

Vassilis Tsianos: Selbstverständlich. Es gibt eine Zirkulation der Kämpfe mit Schwerpunkt im mediterranen Raum.

Inwiefern Zirkulation?

Im buchstäblichen Sinne: medial und migrationstechnisch. Es gibt eine gigantische Zirkulation von Bildern und Wissen über die Aufstände im arabischen Raum. Die Migranten, die nach Griechenland oder Spanien ausgewandert sind, haben das mit sich getragen. Und eine Zirkulation der Organisationserfahrungen: Das Modell Zelten wurde, von Kairo aus kommend, in Athen wieder verwirklicht und danach in der Occupy-Bewegung globalisiert.

Mal geht es um Protest gegen Banken, mal um politische Teilhabe.

Das große Gemeinsame ist letztendlich die Forderung, dass sie alle gehen sollen. Also eine grundsätzliche Forderung an die Plutokratie und die oligarchische Demokratie – und das charakterisiert sowohl den reichen Norden als auch den weniger reichen Süden. Die Kritik der Occupy-Bewegung in den USA an der Korruption ist mit der in Griechenland, Spanien und Ägypten durchaus vergleichbar.

In Kairo wurden Menschen jeden Alters mobilisiert. Sind es in Europa eher die Jungen?

Nein. Wenn man die gigantischen Versammlungen in Griechenland und Spanien, aber auch in den USA ansieht, ist das Großartige, dass da viele Generationen partizipieren. Und es gibt sehr viele Arme – das ist neu für die sozialen Bewegungen des Nordens.  INTERVIEW: GRÄ

Vassilis Tsianos diskutiert mit Pedram Shahyar und Ismail Küpeli über „Krisenproteste und soziale Bewegungen in Europa und dem arabischen Raum“: 19 Uhr, Centro Sociale, Sternstr. 2