Tiefsinn statt Sinn

Die Berliner Kammeroper spielt das Monodram „Briefe des van Gogh“ des russischen Komponisten Grigori Frid

Ganz unbekannt ist Grigori Frid in Berlin nicht. Vor zwei Jahren hat die Deutsche Oper in ihrem Foyer sein Solostück für Sopran „Das Tagebuch der Anne Frank“ vorgestellt. Für diesen Herbst stehen Wiederholungen auf dem Spielplan. Frid lebt heute 90-jährig in Moskau, wo gerade die Vernissage einer Ausstellung seiner Gemälde bevorsteht. Ein vielseitiger Kopf: Musiker, Maler, Essayist und Kulturpolitiker. Sein gesamtes Leben steht unter dem Zeichen der russischen Revolution und ihren Folgen. Seinen jüdischen Vater musste er im sibirischen Lager suchen, als Sanitäter stand er an der Kriegsfront. Hoch dekoriert, aber seelisch gebrochen unterrichtet er am Konservatorium, komponiert für den Rundfunk und gründet 1965 den „Moskauer Jugendmusikclub“, der ein Treffpunkt der Avantgarde wird.

Zweifellos verdient diese Biografie Interesse, und in ihrem Rahmen die Musik, die Frid komponiert hat. Er ringt um die großen Themen der Freiheit und Verantwortung des Künstlers, um Grundfragen der Politik und Ästhetik, die im verordneten Programm des „sozialistischen Realismus“ verhängnisvoll verknüpft waren. In diesem Minenfeld wurden die Briefe des bettelarmen Vincent Van Gogh an seinen Bruder Theo zum Leitfaden. Hier ging es nur um Farben, um private Erfahrungen – und um Geld. Frid versuchte 1975 mit seiner „Monoper“ genannten Kantate „Briefe des van Gogh“ für Bariton und Kammerensemble diese Gegenwelt zur sowjetischen Staatskunst in Töne zu setzen.

Nun hat die Berliner Kammeroper das etwas spröde, völlig undramatische Werk einstudiert. Dass es am Mittwoch bei der Premiere im Saalbau Neuköln zu einer Aufführung kam, lässt sich jedoch nicht behaupten. Unter dem Dirigenten Brynmor Jones spielt das kleine Ensemble (Streicher, Klarinette, Schlagzeug und Klavier) zwar ordentlich, und auch Tilman Birschels Bariton kann Anforderungen der Partitur einigermaßen nachkommen. Nur hat der Regisseur Holger Müller-Brandes alle diese Anstrengungen im Keim erstickt. Glaswände auf einer sonst leeren, schwarzen Bühne dienen als Projektionsflächen für Zitate aus Frids Aufsätzen. Darunter in roter Laufschrift Zitate aus van Goghs Briefen – und irgendwo im Saal, später auch mal hinter den Glaswänden, aber immer ängstlich um den akustisch zerrissenen Kontakt zum Orchester bemüht der Bariton, der noch einmal andere Texte singt.

Genauso ist das Ergebnis: gewichtige Worte aus dem Zusammenhang gerissen. Tiefsinn sollen sie wohl darstellen, so misshandelt aber haben sie jeden denkbaren, musikalischen, politischen oder ästhetischen Sinn verloren. Zum Glück ist es nach einer Stunde vorbei.

NIKLAUS HABLÜTZEL

„Briefe des van Gogh“: Saalbau Neukölln, 13., 14., 20., 21. Mai, 20 Uhr