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Archiv-Artikel

Stab und Lanze über Speer

Mit dem Mehrteiler „Speer und Er“ packt die ARD ein angeblich „heißes Eisen“ an: Soll und darf der Naziverbrecher als Mensch gezeigt werden? Geht das im Fernsehen überhaupt? Geteilte Meinungen

Schauderhaft

„Als halte uns ein Optiker nach verschiedenen trüben Linsen endlich jene vor Augen, durch die wir vollkommen klar sehen“, feierte die FAZ „Speer und Er“. Endlich werde das Bild vom guten Nazi vernichtet.

Eine der eindrücklichsten Szenen der beiden inzwischen mit Speer verbrachten Abende ist sicherlich sein Besuch in den Stollen des KZ Mittelbau-Dora. Ausgemergelte Häftlinge, die den Nachschub für die Rüstungsindustrie zu sichern haben.

Doch welchen Eindruck vermittelt Sebastian Koch als Albert Speer in solchen Momenten? Beim Anblick der grauenvollen Arbeitsbedingungen legt er die Stirn mit einem Entsetzen in Falten, das man ihm sofort abnimmt. Doch als er nach einem Gläschen Schnaps trocken weiter von Produktionsplänen spricht – diese Szene berührt merkwürdigerweise kaum.

Und das ist das Verhängnis von Breloers Anliegen: Sebastian Koch spielt Albert Speer zu glatt. Die menschliche Seite des ehemaligen Rüstungsministers zeigt er gekonnt, den Speer mit den freundlichen Fältchen und dem stattlichen Gang. Den Speer, der seiner Frau kurz vor der Urteilsverkündung schreibt, sie seien Seelenverwandte. Den reuigen Speer, der vor Gericht ein mitreißendes Abschlussplädoyer hält, was die Welt aus der Naziherrschaft lernen solle.

Die Kaltschnäuzigkeit, mit der Speer diesen Auftritt inszeniert hat, die selbstherrliche Seite des ehrgeizigen Architekten und Rüstungsministers vermittelt Koch nur schwach. Wenn ihn das Drehbuch wahrhaft Böses tun lässt, wirkt er – einfach gar nicht.

Fernsehen ist ein Gefühlsmedium. Da will man nicht denken, man will mitleben mit dem Protagonisten und ihn nur ungern mit Befremden sehen. Nach einem Film, und das ist „Speer und Er“ in weiten Teilen, kann man nicht „klar sehen“, man hat einen Eindruck. Der von Speer ist nach den ersten beiden Teilen vor allem der von Kochs erhaben-freundlichem und reuigen Mann. Weil er als Person nie abstößt. Dieses gefährliche Bild können auch die Interviews mit seinen Kindern und die Berichte der überlebenden Zwangsarbeiter nicht kaputt machen. Sie sind beeindruckend, aber sie scheinen von einem anderen Menschen zu handeln. ANNE SEITH

Lachhaft

„Wegen Heinrich Breloer, dem Regisseur von ‚Speer und Er‘, ist das Fernsehen erfunden worden“, jubelte der Kolumnist Franz Josef Wagner in der Bild: „Endlich weiß ich, warum ich das ganze verdammte Jahr Rundfunkgebühren zahlen muss – bis auf die Wiederholungen der Heinz-Erhardt-Filme, die ich liebe.“

Ach ja, Heinz Erhardt, da war die Welt zwar noch verdammt dicht dran am Dritten Reich, aber offenbar irgendwie harmlos und in Ordnung. Womöglich deswegen, weil alles Braune frisch reingewaschen war in dieser Bundesrepublik der Fünfzigerjahre: Die ehemaligen Nazis, die unverurteilten Albert Speers der Zeit unterrichteten an den Universitäten, operierten in den Krankenhäusern, schrieben Artikel, fällten Urteile und bauten … huch, nein, Häuser bauten sie nicht mehr. Für die Kulissen dieses merkwürdigen neuen Deutschland durften die unbelasteten Bauhaus-Architekten ran. Es war halt die Zeit der Häutungen, so wie heute die Zeit der Historisierungen angebrochen ist.

Warum dankt vor allem die konservative Presse dem Regisseur Breloer auf Knien für seinen Film? Weil er dem Bürgertum einen verführten Großbürger vorführt, der sich von einem bösen Bohemien hat verführen lassen? Weil man darüber – wie schon über den „Untergang“ – so schön wohlig schaudern kann? Hat wirklich all die Jahre jemand in Albert Speer nicht den Nazi, sondern den „guten Nazi“ gesehen? Oder sehen wollen?

Wer Speers elegant geschriebene Tagebücher aus Kriegszeiten liest, wird darin auch die blinden Flecken in der Selbsterfindung erkennen. Speer war die einzig kultivierte unter all den Nazi-Hornissen, die zur Plünderung Europas und Vernichtung der Juden ausschwärmten. Na und? Banal ist das Böse, wie wir schon seit Hannah Arendt wissen, und Fernsehen leider ein Nullmedium.

Wenn wir also irgendwann alle genug geschaudert haben über „das Böse“, schuhu, dürfen wir dann endlich auch mal lachen über die banalen Trottel, die es ins Werk gesetzt haben? Ein Blick auf Rudolf Hess beispielsweise genügt, um ihm das Pathos zu rauben, mit dem Neonazis alljährlich zu seinem Todestag provozieren. ARNO FRANK