: Minister Minus
Die Steuerschätzung offenbart: Hans Eichel fehlen die Einnahmen, um Rot-Grün noch zu finanzieren
aus BERLIN HANNES KOCH
Der Bundesregierung fehlt das Geld zum Regieren. Das ist die eine Botschaft der neuesten Steuerschätzung, die gestern veröffentlicht wurde. Die Bundesländer werden dieses Jahr etwa 2,5 Milliarden Euro weniger zur Verfügung haben, Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) fehlen in seinem 254-Milliarden-Euro-Etat immerhin 3,5 Milliarden. Bis 2008 summieren sich die prognostizierten Ausfälle auf rund 66 Milliarden Euro. Nur die Städte verzeichnen künftig ein leichtes Plus.
Obwohl Prognosen über vier Jahre immer ein Hauch Hellseherei umweht, wird doch deutlich: Der Spielraum für sinnvolle Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur ist äußerst begrenzt. Stattdessen muss sich der Bundesfinanzminister damit herumschlagen, wie er die Löcher deckt, die immer wieder aufreißen. Um die Neuverschuldung einigermaßen in Grenzen zu halten, muss Eichel absehbar alle möglichen finanztechnischen Verrenkungen prüfen – von der Privatisierung von Verkehrsinvestitionen bis zum Verkauf von Krediten an Investmentbanken und Hedgefonds (siehe Artikel unten).
Ähnlich brisant wie die erste ist auch die zweite Botschaft der Steuerschätzung: Die Folgen der geplanten Unternehmenssteuerreform sind in der Prognose noch nicht berücksichtigt. Sollte die Senkung der Körperschaftssteuer für Konzerne, die Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im März mit der Union beim Jobgipfel verabredet hat, zusätzliche Ausfälle hervorbringen, wird das Gesamtdefizit größer. Ihre besondere Bedeutung erhält diese Steuerschätzung denn auch dadurch, dass sie die aktuelle Debatte über den bösen Kapitalismus noch einmal so richtig anfacht.
SPD-Chef Franz Müntefering hatte die Diskussion in Gang gesetzt durch seinen Vergleich von Finanzinvestoren mit ausländischen Wanderheuschrecken, die über arme deutsche Unternehmen herfallen und kein Blatt übrig lassen. Angesichts der Steuerschätzung stellt sich natürlich die Frage, ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist, mit Steuergeschenken an Kapitalgesellschaften die finanziellen Gestaltungsmöglichkeiten des Staates zusätzlich einzuschränken.
Dass es dazu überhaupt kommen könne, bestreitet Finanzminister Eichel ausdrücklich. Er argumentiert, die Reform könne „aufkommensneutral“ vonstatten gehen: Die Unternehmen würden die Steuerausfälle zum Teil selbst bezahlen. Weil die nominalen Steuersätze auf Gewinne von 25 auf 19 Prozent sinken, so Eichels Hoffnung, würden die Konzerne einen größeren Teil ihrer Profite in Deutschland versteuern. Immerhin rund 2 Milliarden Euro sollen dadurch zusätzlich in die öffentlichen Kassen fließen.
Ob diese frohe Botschaft zutrifft, wird allerdings erst die Zukunft erweisen. Viele SPD-Bundestagsabgeordnete namentlich des linken Flügels, aber auch grüne Parlamentarier mahnen zur Vorsicht. Sensibilisiert durch die Kapitalismusdebatte wollen SPD-Fraktionsvize Michael Müller, die grüne Finanzexpertin Christien Scheel und andere auf derartige Schätzungen nicht vertrauen und fordern eine solide Gegenfinanzierung. „Wir akzeptieren die Senkung der Körperschaftssteuer nur, wenn sie wirklich aufkommensneutral ist“, sagt Müller.
In den nächsten Wochen wollen die Kritiker also klären, ob die beiden Positionen miteinander vereinbar sind. Einerseits das durchaus rationale Argument von Schröder und Eichel, die deutsche Gewinnsteuer sei im internationalen Vergleich nicht konkurrenzfähig, weil zu hoch. Andererseits das Bestreben, die transnationalen Konzerne an der Finanzierung des Staates in angemessener Weise zu beteiligen.
Das Misstrauen der Kritiker gegenüber dem Finanzministeriums mag daher kommen, dass die Abgeordneten bereits einmal unangenehme Erfahrungen mit einer Reform der Unternehmensbesteuerung gesammelt haben. Denn die Senkung der Körperschaftssteuer auf 25 Prozent ab dem Jahr 2000 hat die Staatsfinanzen erst in die bedauernswerte Lage gebracht, in der sie heute stecken (siehe Artikel unten).
Angesichts der verzwickten Zusammenballung von Kapitalismusdebatte, Steuerschätzung und Steuersenkung wird nun darüber sinniert, ob die neuerliche Reduzierung der Abgaben für Unternehmen überhaupt kommt. Gegenfinanzierung hin oder her – lässt sich das Vorhaben noch durchsetzen, wenn Rot-Grün die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen verliert? Will die gebeutelte SPD dann als Unternehmerpartei dastehen?
Fest steht freilich, dass diese Steuerreform an höchster Stelle verabredet wurde. Wenn sie nicht funktioniert, hat Rot-Grün bei der Wirtschaft keinen Stich mehr. Das schränkt den Verhandlungsspielraum der Kritiker deutlich ein.