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Archiv-Artikel

Super brisant

BOULEVARD Wie tickt der Osten? Wer das wissen will, kommt an „SuperIllu“ und „Brisant“ nicht vorbei – zwei Redaktionsbesuche

In den neuen Ländern greifen mehr Leute zur „SuperIllu“ als zu „Spiegel“, „Stern“ und „Focus“ zusammen

AUS LEIPZIG UND BERLIN DANIEL BOUHS

Die „Brisant“-Redaktion lässt sich nicht gerne in die Karten schauen. Jedenfalls verwehrte sie der taz, die Konferenzen ihres Magazins zu besuchen. Wie sie diskutieren, welches Unglück oder welchen Schicksalsschlag sie warum in die Sendung heben: Es bleibt ihr Geheimnis.

Redaktionsleiter Hans Müller-Jahns sagt, man müsse sich das wie im OP vorstellen. „Ärzte finden mit ihrer Wortwahl ja auch einen Weg, um die Schicksale unter ihren Fingern nicht zu nah an sich ranzulassen.“ So muss man sich das vorstellen: Da diskutieren Journalisten mit einer sarkastischen Wortwahl über das Leid der Nation. Dass sie täglich Unfälle und sonstiges Unheil in Szene setzen, stört Jahns wenig. „Das Schlimme ist doch, dass die Menschen das nicht leid sind.“ Die ARD bedient also bewusst die Sensationsgier – und macht die Zuschauer für dieses Übel verantwortlich.

Wie erfrischend wäre es, wenn Müller-Jahns sagen würde: „Wir machen ja eine Menge mit, aber doch nicht alles!“ Tut er aber nicht. Er spricht lieber von dem Druck, in den meisten Fällen mit der privaten Konkurrenz gleichziehen zu müssen. Dafür kaufe er auch schon mal bei RTL oder Bild ein, die längst passend zu ihren Zeitungstiteln auch fertiges Filmmaterial verkauft. Minutenpreis: zirka 1.500 Euro.

Müller-Jahns sagt, die ARD habe sich 1994 „eben dazu durchgerungen“, in den Wettstreit zwischen RTL-„Explosiv“ und den anderen Privat-Magazinen einzusteigen. „Zu dieser Entscheidung müssen wir jetzt stehen. Und das machen wir auch.“

Der einige große Unterschied zu den Privaten ist noch, dass das ARD-Magazin seinen Gesprächspartnern meist kein Geld zahlt. „Von einer Aufwandsentschädigung abgesehen“, sagt Müller-Jahns. Die würde „ein paar hundert Euro“ nicht übersteigen. Gleichzeitig bestätigt er aber, schon mal mehr gezahlt zu haben: für eine Verwandte des Sexualverbrechers Josef Fritzl – „aber nur bis zum Prozessbeginn, damit die Frau vorher keinem anderen etwas sagt“.

Ganz kommt die ARD also doch nicht an den Tricks der Szene vorbei. Die Masche zieht jedenfalls: Gut 15 Prozent aller Menschen, die kurz nach 17 Uhr fernschauen, schalten „Brisant“ ein. Und das, obwohl das ZDF das ARD-Magazin kopiert hat. „Hallo Deutschland“, einst ein ordentliches Ländermagazin, passte sich in erschreckender Perfektion „Brisant“ an – mit teilweise identischen Bildern. „Rausgeschmissenes Geld“, sagt Müller-Jahns. Ändern müsse sich aber – natürlich – das ZDF.

Wiederholt der MDR „Brisant“ im eigenen Programm, schalten in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen prozentual sogar noch mehr Menschen ein als zur Erstausstrahlung im gesamten Bundesgebiet. Der Sender bedient, was viele im Osten wollen. Diese Boulevard-Affinität spiegelt sich auch bei den Machern wider: Im siebten Stock des sterilen MDR-Hochhauses in Leipzig tummeln sich vor allem Frauen – und wenige junge Männer.

Das Erfolgsrezept von „Brisant“ ähnelt dem der SuperIllu. Die ist ein gedrucktes, wöchentliches Magazin, das ebenso auf Schicksale, Klatsch und Service setzt. Und auch hier haben sie damit Erfolg: In den neuen Ländern greifen Woche für Woche mehr Menschen zur SuperIllu als zu den West-Magazinen Spiegel, Stern und Focus zusammen. Sagen sie.

Letztlich beruht der Erfolg der Ostille, die ihr Schmuddelimage mit Pornostrecken aus Backstuben längst abgelegt hat, auch auf einer eigenen Haltung. Chefredakteur Jochen Wolff, ursprünglich aus dem Westen, fasst den Ansatz so zusammen: „Wir haben Respekt vor der Lebensleistung der Menschen in der DDR, die es schwer hatten, sich ohne die Chancen der Marktwirtschaft etwas aufzubauen.“

Kritiker halten dem Blatt gerne vor, den Osten schönzureden – was stimmt. Immerhin sind die knapp 60 Redakteure auf das Wohlwollen ihrer Leser angewiesen. Und die können das Ost-Bashing nicht mehr hören. „Was hier schiefläuft, wird ihnen schon vorgehalten, wenn sie abends die ‚Tagesschau‘ einschalten“, sagt Wolff.

Die SuperIllu sucht stattdessen die kleinen und großen Stars der Region und macht sie groß auf. Moderatorin Andrea Kiewel darf sich über ihre Schleichwerbe-Eskapaden ausheulen, um sich auch als Kolumnistin des Magazins zu rehabilitieren. Kollegin Andrea Ballschuh präsentiert ihr „Baby-Glück“. Und aus Sportlern wie Paul Biedermann wird „unser neuer Held aus Halle“. Ansonsten punktet die SuperIllu vor allem mit Ratgebern: Reisen, Rezepte, Rente.

Das ist es also, was der Ost-Medienkonsument sucht: eine Mischung aus Klatsch, Tratsch und Service. Geht es um kritische Dinge, sagt der Chefredakteur, seine Leser seien „themenmüde“. Eine Ausrede, um nur bequeme Themen ins Blatt heben zu müssen? Wolff sagt, jedem Halbsatz, der den Osten schlecht dastehen ließe, folge ein „Generalangriff“ gegen sein Blatt. Als sie etwa den Wandel der Gastronomie im Osten lobten, schrieben sie, nach der Wende hätten sich Westler zunächst über das magere Angebot gewundert. Es hagelte Protestbriefe, in denen Leser das Positive ignorierten und ihrem Frust freien Lauf ließen.

Im Jahr 20 nach dem Mauerfall sei das sogar noch schlimmer als sonst. Wolff sagt: „Ich habe das Gefühl, die Leser sind so sensibel sind wie nie.“ Gegen zu viel Kritik helfen nur Blaulicht, Boulevard und Service.

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