: Nicht süß: zuckerkranke Kinder
Die Zahl übergewichtiger Kinder hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. Eine Folge davon ist, dass viele schon als Jugendliche an Altersdiabetes erkranken
Sie sind dick. Zu dick. Das fällt sofort auf. Etwas anderes nicht: Die Jugendlichen leiden an Altersdiabetes. Bei ihnen wirkt das körpereigene Insulin nicht richtig. Das ist das Hormon, das nach dem Essen den Blutzucker senkt. Vier solcher Teenager betreut die Diabetesambulanz der Kinderklinik an der Universität Leipzig derzeit. Die Jüngsten sind gerade mal 14.
„Immer mehr Kinder und Jugendliche erkranken an Typ-2-Diabetes“, sagt Thomas Kapellen, leitender Arzt der Leipziger Ambulanz. „Früher wurde diese Form der Zuckerkrankheit nur bei Älteren beobachtet. Heute tritt sie immer früher auf.“ Eine ernst zu nehmende Entwicklung. Denn mögliche Folgeschäden von Diabetes sind gravierend: Durch den hohen Blutzuckerspiegel werden die Blutgefäße immer enger. Das kann zu Nierenschäden, Herzinfarkt, Schlaganfall, Erblindung und Fußamputation führen. Wer einmal an Diabetes mellitus – so der medizinische Begriff – erkrankt ist, muss sein Leben lang dafür sorgen, dass sich die Krankheit nicht verschlimmert.
Schuld am zunehmenden Alterszucker bei Kindern sind vor allem Übergewicht und zu wenig Bewegung, urteilt Kinderarzt Kapellen. „Die Ernährung ist zu süß und zu fett. Das trifft besonders auf viele Kinderprodukte zu. Außerdem spielt Sport nicht die gleiche Rolle wie früher.“ Heute säßen die Kinder stundenlang vorm Fernseher, Computer oder vor der Playstation. Kalorien bleiben so unverbrannt und formen Fettpolster.
In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl übergewichtiger Kinder und Jugendlicher in Deutschland mehr als verdoppelt. Noch ist die Situation nicht so dramatisch wie in den USA oder Japan. Doch die Deutschen holen auf. Schätzungen zufolge gibt es schon etwa 5.000 Kinder und Jugendliche mit Typ-2-Diabetes hierzulande. Wahrscheinlich ist die Zahl noch höher, vermutet Kapellen.
Am Anfang bleibt der erhöhte Blutzucker nämlich oft unbemerkt. Gerade bei Teenagern. „Anders als Kinder sehen Jugendliche selten einen Arzt“, erklärt Kapellen. „Sie kommen nur, wenn sie krank sind.“ Doch Diabetes äußert sich erst im fortgeschrittenen Stadium. Die Anzeichen: ein allgemein schlechter Zustand, verstärkter Durst und häufiges Wasserlassen.
„Bislang ist es eher Zufall, wenn der Typ-2-Diabetes entdeckt wird“, sagt Kapellen. Er fordert daher ein „Screening“ für gefährdete Kinder. Analog zu den Empfehlungen der US-amerikanischen Diabetesgesellschaft will der Kinderarzt ab dem zehnten Lebensjahr auf erhöhten Blutzucker testen, wenn zu starkem Übergewicht zwei weitere Faktoren kommen. Das kann eine asiatische, afrikanische oder lateinamerikanische Herkunft sein oder viele Diabetiker in der Familie. Auch Bluthochdruck, Störungen des Fettstoffwechsels, erhöhter Harnsäurespiegel im Blut und bestimmte Hautverfärbungen deuten auf ein größeres Risiko für Diabetes. Zur Früherkennung böte sich laut Kapellen ein so genannter Glukosetoleranztest an. Dabei wird der Blutzucker nach dem Trinken eines süßen Getränkes gemessen.
Lautet die Diagnose auf Alterszucker, heißt es zu allererst: abspecken. Das Kind muss lernen, sich gesünder zu ernähren und mehr zu bewegen. Statt vor der Glotze abzuhängen, also lieber toben, Fußball spielen oder Inline-Skaten. MARTINA JANNING
Wann ist ein Kind zu dick? Auskunft gibt ein Rechner der AG Adipöser Kinder und Jugendlicher unter www.a-g-a.de.