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Das feindliche Schweigen aufgebrochen

Das deutsch-israelisch-palästinensische Theaterprojekt „Durch das Schweigen“ zeigt in Celle mit Lizzie Dorons „Who the fuck is Kafka“ den Nahostkonflikt durch Dialoge zwischen einer Israelin und einem Palästinenser. Doch die Inszenierung wirkt etwas überfordert

Lokaler Bezug: Im Dokutheater-Stil geht es auch um das Displaced Person Camp Bergen-Belsen Foto: Marie Liebig/Schlosstheater

Von Jens Fischer

Am 7. Oktober 2023 schien das Theaterprojekt gestorben. Der palästinen­sische Terror­anschlag auf die israelische Zivilbevölkerung und die folgende Zerstörung Gazas machten es unmöglich, mit gleich rücksichtsloser Offenheit und emotionaler Subjektivität über den Holocaust, die Gründung des Staates Israel sowie über die Folgen für die Palästinenser zu erzählen. Dabei sollten die psychischen Verheerungen des immer neu eskalierenden Nahostkonflikts offengelegt werden, so dass beide Seiten das Leiden der Nachbarn verstehen.

Einen solchen Austausch hat die israelische Schriftstellerin Lizzie Doron, Tochter einer jüdischen KZ-Überlebenden, mit einem israelisch-palästinensischen Journalisten geführt. Er wollte über sie einen Film drehen, sie über ihn ein Buch schreiben – um friedensaktivistisch irgendetwas zu bewegen.

Das war für die am Schlosstheater geplante Uraufführung „Durch das Schweigen“ nicht fortsetzbar. So kam Dorons 2015er-Ausarbeitung des Dialogs, „Who the fuck is Kafka“, auf die Bühne, der nicht in Israel, aber in Deutschland erscheinen durfte. Der Film des Freundes konnte nie fertiggestellt werden. Beide Formate wirkten als Verständigungsversuche inakzeptabel für Juden wie für Moslems. Doron musste auch Namen und Aussagen fiktionalisieren, um die Betreffenden vor Repressalien zu schützen.

Der israelische Regisseur Dori Engel besetzt die nun Lilli und Nadim benannten Rollen mit der Israelin Bahat Calatchi und dem Palästinenser Khalifa Natour. Sie markieren schonungslos die Konfliktlinien, lassen bei allem Trennendem aber auch Mitgefühl zu, sodass aus vielfältiger Verunsicherung eine vorsichtige Annäherung erwächst. Auf Hebräisch, Arabisch, Englisch – mit Übertiteln.

Für Nadim sind Israeli Besatzer und Unterdrücker, unter deren militärischer Machtausübung er leidet. Er fragt, was aus Kindern werden soll, die diese Gewalt miterleben müssen. Für Lilli sind Palästinenser potenzielle Attentäter. Aus Angst vor Selbstmordanschlägen lässt sie ihr Kind nie mit dem Bus zur Schule fahren und verlässt sofort Kino oder Restaurant, wenn ein Araber mit größerem Gepäck eintritt. Und sie fragt, was die alltägliche Terrorbedrohung mit Kindern macht.

Wenn Lilli auf den NS-Kriegsverbrecher Dr. Mengele zu sprechen kommt, wird Nadim von seiner todesängstlichen Schwester aus Gaza angerufen, weil ihre Stadt gerade von der israelischen Armee angegriffen wird. Derart zugespitzt werden die unterschiedlichen Perspektiven serviert. Immer so, dass beider Standpunkte verständlich sind. Nur ist Khalifa Natour in seiner verzweifelten Herzlichkeit der differenziertere und präsentere Schauspieler, was den palästinensischen Positionen etwas mehr Sympathiewerte verschafft.

„Durch das Schweigen“: heute, 6. 5., 20 Uhr, Schlosstheater Celle; weitere Aufführungen: 8. 5., 12. 5., 17. 5., 21. 5., 22. 5.; schlosstheater-celle.de

Im Wechsel mit diesem spannend pointierten Zwiegespräch kommt in weitaus weniger überzeugender Dokudrama-Manier das Displaced Person (DP) Camp Bergen-Belsen in den Fokus. Die ehemalige Wehrmachtskaserne, 30 Kilometer von Celle entfernt, nutzte die britische Armee, um dort bis 1950 teilweise bis zu 12.000 Juden unterzubringen. Wie sie eine selbstverwaltete Gemeinschaft entwickelten, sozial, kulturell und religiös das jüdische Leben wieder lebendig werden ließen und gegen die Briten ihre Auswanderung nach Palästina erkämpften, dazu führt das Celler Ensemble in einem Museumszelt ein. Daten, Fakten, Hintergründe werden eilig berichtet, zum Betrachten historischer Fotos und Relikte ist keine Zeit.

Das Publikum hetzt weiter in den Malersaal, wo Filmschnipsel zum Schicksal des Einwandererschiffs „Exodus“ und zum Leben in Palästina vor 80 Jahren projiziert werden. Schnell weiterhasten in die Turmbühne, dort erklären Musiker fix den Unterschied zwischen abendländischer und arabischer Tonleiter. Endlich zur Ruhe kommt der Abend mit Szenen vom „Kazet Theater“ des DP-Camps. Ausgedacht hat sich die Regie, dass dort auch Lillis Mutter aktiv ist und sich nun durch einen Gazevorhang mit der Tochter aus dem anderen Handlungsstrang austauschen kann.

Aufbruchs-Euphorie: Am Ende gibt es fidele Mitklatsch-Lieder Foto: Marie Liebig/Schlosstheater

Ansonsten wird viel gesungen, getanzt und Kabarett gespielt. Gemeinsam sind Erinnerungen an die Schoah zu teilen – mit Musik und Juxerei auch Verdrängungsmanöver zu versuchen. Am Ende des fast vierstündigen Abends stimmen Publikum und Ensemble in Mitklatsch-Fidelität ein jiddisches Lied an, allseitiges Umarmen, offensiv gefeierte Aufbruchs-Euphorie. Juden dürfen in die USA, nach Kanada und Israel emigrieren. Nur Nadim, am Bühnenrand platziert, findet „alles kompliziert“. Nichts wurde, nichts wird ja auch gerade gut.

Die Inszenierung wirkt etwas überfordert, Geschichten von DPs sowie transgenerationale Traumata ins heutige Israel zu verfolgen und die Erinnerungsarbeit als Erklärungshilfe für die schier ausweglose Hoffnung auf Sicherheit und Frieden anzubieten. Ein etwas überkonstruierter, aber berührend aktueller Abend. Gerade weil Lillie und Nadim das feindliche Schweigen so zukunfts­willig aufbrechen.

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