: HSV hoch zwei
„Hier re-giert der Ha-Es-Vau!“ Jaja, schon klar, aber welcher, fragte man sich nach der 2:1-Niederlage der europaträumenden Hamburger gegen die krisenbeschwörenden Hannoveraner
von Dietrich zur Nedden
Traditionell spricht man bekanntlich vom großen und vom kleinen HSV, wenn die maßgeblichen Fußballvereine aus Hamburg und Hannover aufeinander treffen. Wenn ...!
13 Spielzeiten lang – in Jahren: von 1990 bis 2001 – gab es keine Gelegenheit dazu aus den bekannten Gründen: Der kleine HSV war nicht mal erstklassig, sondern winzig. Betrachtet man die Geschichte der vergangenen Jahrzehnte insgesamt, hat die hierarchische Unterscheidung durchaus objektive Gründe. Seit dem Wiederaufstieg waren sich die Fans der 96er dessen bewusst. Wenn die Wahrnehmung nicht trügt, verzichteten sie bisher darauf, beim Nordderby Gesänge anzustimmen, in denen ihre Mannschaft als HSV tituliert wird. Es hätten sich ja die Falschen angesprochen und unterstützt fühlen können.
Der Minderwertigkeitskomplex hat seit dem vergangenen Sonnabend auf absehbare Zeit ein Ende. 2:1 gewannen die 96er, seit der Rückkehr in die Erste Liga der vierte Sieg gegen die Hamburger in sechs Begegnungen. Von Anfang an scherten sich die hannoverschen Fans nicht um die historische Rangordnung, sondern feierten ausgiebig ihren HSV mit der erwähnten Regierungserklärung als auch mit dem Frage-Antwort-Vers: „Wen lieben wir? Ha-Es-Vau!“. Und der Gästeblock – das war termingerecht nahe dran am Erlebnis eines Pfingstwunders – stimmte mit ein. Ohne spürbare Agressivität wechselte man einander ab oder sang synchron zusammen, um dem jeweils gemeinten HSV die Ehre zu erweisen.
Eine Harmonie, ein Gleichklang, der eine seltsam freundliche Stimmung erzeugte. Die Spieler des Hamburger SV dagegen zeigten auf dem Weg in die Kabine Missmut und Ärger und trollten sich wortlos. Durch die Niederlage haben sie so gut wie sicher den UEFA-Cup-Platz verdaddelt. Dass sie allerdings, wie Trainer Doll in der Pressekonferenz sagte, das Spiel dominiert hätten, war nicht jedem ersichtlich.
Zwar passt gleich der erste Schuss – und was für einer! – auf das Tor der Hannoveraner genau ins linke obere Eck (13. Min., Benjamin), danach aber drängten die 96er vorwärts und hatten mehrere gute Möglichkeiten. Die Gelegenheit zum 2:0 ließen sich die Gäste entgehen, als Beinlich mit einem Elfmeter an 96-Keeper Enke scheiterte. Stattdessen der Ausgleich kurz vor der Halbzeit, als Stajner eine feine Flanke von Schröter lässig einköpfte.
Nach der Pause waren die Hamburger in der Tat weitgehend überlegen und nötigten Enke zu exzellenten Paraden, während sich Hannover auf Konter beschränkte. Letztlich erfolgreich drei Minuten vor Schluss durch einen starken Auftritt von Barnetta, der wie acht weitere den Verein verlassende Kollegen vorweg freundlich verabschiedet worden war. Nach einem Pass von Stajner ließ er einen Abwehrspieler stehen und überlief Torwart Wächter, um zum Siegtreffer einzuschieben. Der Jubel der Anhänger des heimischen HSV war groß, die Angelegenheit erledigt.
Offen zutage dagegen liegt mal wieder der Konflikt zwischen Ewald Lienen und einem Teil der hannoverschen Sportjournalisten, wie an dem obligatorischen Post-Pressekonferenz-Smalltalk potzblitzartig abzulesen war. Weder die Reporter von der Bild noch die von der Neuen Presse nahmen daran teil.
Da durfte einem eine Diskussion in den Sinn kommen, die zwei Wochen vorher im Hörfunksender NDR Niedersachsen unter dem schlanken Titel „Quo vadis 96?“ zu verfolgen gewesen war. Bernd Stubmann, berüchtigter Sportchef von Bild Hannover, hatte supercool zu Lienen gesagt: „Wenn man die Hitze nicht abkann, darf man nicht Bäcker werden.“ Dass die Boulevardpresse sich vorbehält, ganz allein die Temperaturen zu regeln, vergaß er zu erwähnen. Das ist zwar nicht neu, aber wie man Lienen einheizt, so jedenfalls ergeben Stichproben, ist schon eine Sache für sich. Dass der sich wehrt, ist verständlich; dass er sich nicht immer geschickt äußert, eine andere Geschichte.
Wie glatt dagegen Ilja Kaenzig agiert, der Manager der Roten, kann man auf seiner mit zahlreichen Porträtfotos (unter anderem Arm in Arm mit Bild-Reporter Vim Vomland) ausgestatteten Homepage (www.ilja-kaenzig.com) in Augenschein nehmen. Nick Hornby hat schon Recht, wenn er meint, im Profi-fußball habe sich seit 1995, als er „Fever Pitch“ schrieb, „mehr verändert als in den 100 Jahren zuvor“. Traditionen wie ein Nordderby können trotzdem einen unterhaltsamen Nachmittag ergeben. Unter gewissen Voraussetzungen aber sind sie ganz nebensächlich. Da scheinen innere Konflikte einen höheren Stellenwert zu genießen.