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88 Gigabyte Beweise

Der Verfassungsschutz will die CDU künftig wohl als rechtsextremen Verdachtsfall einstufen

Ist das wirklich Jens Spahn? Die Verschwörer unterm Aluhut sind überall unterwegs Foto: dpa

Von Frank Lorentz

„Hör zu. Was ich dir jetzt erzähle, wird dir nicht gefallen. Mir gefällt es auch nicht“, sagt Lina Pütz, stellvertretende Chefin im Bundesamt für Verfassungsschutz. An einem Samstagmorgen sitzt sie – leicht vorgebeugt, die Hände zwischen den Knien gefaltet – auf einer Parkbank in Köln. Neben ihr Kurt Haller, ihr Referent. „Werden wir dichtgemacht?“, fragt er kühl.

Pütz hebt, anstelle einer Antwort, die Hände zum Himmel. „Ausgerechnet jetzt, wo wir so dringend mal Ruhe brauchen im Land! Hoppla.“ Der USB-Stick, den sie in den Händen hatte, fällt zu Boden. Sie hebt ihn auf. „Hier, Kurt. Das Ende einer Volkspartei. Der Untergang.“

In Deutschland geht es schon lange nicht mehr nicht mit linken, sondern mit rechten Dingen zu. Die Merz-Konservativen walzen massiv Brandmauern platt, bekämpfen NGOs, die die Demokratie schützen, und verharmlosen AfD-Faschisten. Sie machen aus Elefanten Mücken und maximieren den Unwohlstand.

Wie der brandneue Altkanzler in spe, Friedrich Merz, jüngst in vertraulicher Runde verkündete, arbeitet seine CDU an einem Gesetzentwurf, dem zufolge auf deutschen Autobahnen nur noch rechts überholt werden darf. „Ein Gesetz von maximaler Symbolkraft“, juchzte er. „Da sage noch einer, in Deutschland ließen sich keine fundamentalen Reformen durchsetzen!“

„Wir alle haben uns gefragt“, räsoniert Verfassungsschützerin Pütz derweil auf der Parkbank, während vom nahen Spielplatz Kindergeschrei ertönt, „wie die CDU so dämlich sein kann. Warum angeblich demokratische Konservative die Faschisten stärken, indem sie deren Politik betreiben. Dabei liegt die Antwort auf der Hand. Also, vielmehr in der Hand.“

Haller starrt auf den Stick in der Hand seiner Chefin. „Die Partei tickt mittlerweile eigentlich genauso wie die Autoritären“, stöhnt Pütz. „Verfassungsschutz, Menschenrechte, Antirassismus – das alles passt zur CDU unter Friedrich Merz ebenso wenig wie verfassungsgemäßes Regieren zu Trump.“

Sie wedelt mit dem Stick vor der Nase ihres Referenten herum. „88 Gigabyte Beweise! Nachdem wir die AfD jetzt als gesichert rechtsextremistisch eingestuft haben, stufen wir in Kürze die CDU als rechtsextremen Verdachtsfall ein. Teilweise gesichert, streckenweise, phasenweise und vor allem blöderweise. Manche von denen sind komplett entsichert.“

Über ein halbes Jahr durchleuchtete der Verfassungsschutz die CDU-Führungsspitze – und förderte Ungeheuerliches zutage. So hat Generalsekretär Carsten Linnemann sein privates Arbeitszimmer mit Postern von Alice Weidel tapeziert. Der Weidel-Fanboy betreibt zusammen mit Philipp Amthor in Bangladesch ein Unternehmen, das unter dem Label „White Weidel“ weiße Rollkragenpullis herstellt, Strickmuster zwei rechts, zwei rechts.

In der Coronazeit studierte das Duo, wie man mit weißem Scheiß – damals Schutzmasken, heute Weidel-Rollis – Mörder­gewinne einfährt. Um den Börsengang des Labels zu finanzieren, legte es einen Oppenheim-Bangladesch-Fonds auf. Laut Verfassungsschutz ist ein Joint Venture mit dem Rechtsextremen-Label Thor Steinar geplant. Name: Amthor Steinar.

Pütz lehnt sich zurück, schließt die Augen. „White Weidel. Owei, owei.“ Da raschelt es hinter der Bank. Erschrocken fährt sie hoch – ein Kind, das mit seinem Plastikbagger über den Abfallberg neben dem Mülleimer fährt.

„Ich bin schon paranoid“, flüstert die Schlapphutträgerin bestürzt. Haller berührt seine Chefin zart am Unterarm. „Das sind wir alle. Je höher auf der Karriere­leiter, desto paranoider“, wispert er mitfühlend.

„Unter dem Kopfkissen der Leiterin der CDU-Pressestelle Isabelle Fischer haben unsere Leute einen Brief von Merz gefunden“, fährt Chefin Pütz fort. „Wortlaut: ‚Liebe Isa, du kennst die Floskel. Fragt der eine: Wie geht’s? Sagt der andere: Den Umständen entsprechend. Ich will, dass wir das umkehren. Es soll heißen: Wie geht’s den Umständen? Mir entsprechend. Arbeite daran. Ich will wie Godfather Trump sein. Nur größer, obwohl, das bin ja schon. Dein sich liebender Fritze.‘“

„Treibt die Beklopptheit auf die Spitze“, reimt Haller. „Die olle CDU-Haubitze“, vollendet Pütz. Die beiden arbeiten schon lange zusammen. Schon wieder ein Rascheln. „Ich glaub, in dem Gebüsch da war gerade jemand mit irgendwas Komischem auf dem Kopf.“ Pütz atmet tief durch. „Wie gerne würde ich jetzt eine rauchen. Zu dumm, dass ich aufgehört habe.“

Merz-Konservative walzen massiv Brandmauern platt und verharmlosen AfD-Faschisten

Kurz darauf steht ein großer Mann vor den beiden, einen Aluhut auf dem Kopf, geformt wie eine Riesenkartoffel und tief ins Gesicht gezogen. Die Verfassungsschützer sind vor Entsetzen so gelähmt, dass sie tatenlos mit ansehen, wie der Mann den Stick grabscht, den Pütz wie eine Zigarette zwischen den Fingern gehalten hatte.

Im Weggehen lüpft der Unbekannte seine silberne Kopfbedeckung: Darunter verbirgt sich Jens Spahn, der CDU-Rechts­außenminister! Grinsend hoppelt der Politiker davon. „Wieder so eine Spahnferkelei von der fiesesten Sorte! Das war’s dann wohl mit dem Ende der CDU. Und mit uns“, konstatiert Pütz.

„What?“, empört sich Haller, „hast du keine Kopien?!“ Die Vize­chefin atmet tief durch. „Nope. Vernichtet. For safety rea­sons“, antwortet sie dann, hörbar um Fassung bemüht. Beide Geheimdienstler verstummen. Nach einer Weile sagt Haller kichernd: „Das hätte ich nicht gedacht.“

„Was, dass die Konservativen alle irre geworden sind?“, fragt die Vorgesetzte. „Nein, dass Jens Spahn der Aluhut so gut steht“, sagt Referent Haller und lächelt. Dann stehen die beiden Hüter der Verfassung auf und gehen höchst konspirativ ihrer Wege.

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