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Archiv-Artikel

baumarktkinder von EUGEN EGNER

Beim Einkaufen traf ich in der Spirituosenabteilung Frau Hübner, die Bundesbeauftragte für Eugenik. Indem sie eine Flasche Myers’s Rum auf der Nasenspitze balancierte, erzählte sie mir, ihre Behörde habe zum Wohle der Gesellschaft beschlossen, etwas gegen die erschreckende Zunahme auswurfgezeugter Kreaturen in unserem Land zu unternehmen.

Frau Hübner nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche und stellte sie ins Regal zurück. Dann fuhr sie fort: „Gleichzeitig soll dem Aussterben der durch Vergiftung mehrheitlich unfruchtbar gewordenen Deutschen begegnet werden.“ Im Gegensatz zu mir wusste sie sogar, wie: „Aus Hubschraubern werden Anleitungen zum Bau gelungener Kinder über den Wohngebieten abgeworfen.“

Während ich grunzend staunte, wandte die Bundesbeauftragte ihre Aufmerksamkeit dem polnischen Wodka Marke Luksusowa zu. Ich nahm ihr jedoch die Flasche weg und bestand darauf, dass sie mir technische Details verriet. Worauf basierten zum Beispiel besagte Baupläne? „Grundlage sind die Forschungen des Wissenschaftlers Hagen Reck“, sagte Frau Hübner. Den kannte ich selbstverständlich nicht, und sie erklärte mir: „Reck hat bereits in den Sechzigerjahren mit Hilfe seines Märklin-Baukastens einen voll funktionsfähigen Sohn zustande gebracht. Wegen der vielen geraden Metallteile, Schrauben und Muttern war damals aber ein gewisses ästhetisches Defizit zu beklagen. Inzwischen ist es möglich, wesentlich naturgetreuere Modelle herzustellen. Jede(r) kann sich nach unseren leicht verständlichen Plänen Kinder bauen.“ Mich interessierte, woher man denn die Rohstoffe dazu bekäme, und erfuhr, das dazu notwendige Material sei in jedem gut sortierten Baumarkt erhältlich. „Baumarktkinder also“, sagte ich altklug. „Jawohl“, bestätigte Frau Hübner anerkennend.

Inzwischen waren wir weitergegangen und hatten die französischen Rotweine erreicht. Lässig entkorkte Frau Hübner einen Bordeaux mittlerer Preislage. „Die Bezeichnung ‚Baumarktkinder‘ ist noch aus einem weiteren Grunde treffend“, sagte sie zwischen zwei Schlucken, „denn die Bezugsquelle des Baumaterials hat offenkundigen Einfluss auf die Wesensart der neuen Menschen. Sie zeichnen sich allesamt durch einen eklatanten Hang zum Sägen und Hämmern aus. Freilandversuche mit Prototypen haben gezeigt, dass sie auf den Sargbau spezialisiert sind. Sarg um Sarg hauen sie zusammen. Wer oder was darin beerdigt werden soll, war bislang nicht herauszufinden.“

Frau Hübner meinte dann noch, beim Bau solcher Kinder sei es aber ganz wichtig, keine billigen Bauteile wie erschütterungsempfindliche Gehirne aus Fernost zu verwenden: „Denn wenn die sich mit den Hämmern auf die Köppe dreschen, geht leicht mal im Sprachzentrum was kaputt, zum Beispiel das ‚st‘. Stattdessen sagen die Kinder dann ‚g‘.“ Um das zu demonstrieren, zog sie ein Baumarktkind aus der Innentasche, haute ihm mit dem Hammer auf den Kopf und fragte es dann: „Wenn du mal stirbst, was soll dann mit dir geschehen?“ Das Baumarktkind erwiderte: „Ich wähle die anonyme Begattung.“ „Da“, sagte Frau Hübner, „das ‚st‘ ist kaputt.“ „Bei mir ist kein ‚g‘ kaputt“, widersprach das Baumarktkind.