ANDREAS FANIZADEH LEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Gelegentlich in Blut gebadet

Wahrscheinlich gibt es keinen bundesdeutschen Nachkriegspolitiker, der derart polarisierte wie Franz Josef Strauß. Dagegen sind die jetzigen Debatten um den künftigen Bundespräsidenten Gauck („sekundärer Antisemit“, taz) allerfreundlichstes Kamingespräch. „Wie ein Panzer brach er aus dem Unterholz hervor“, schrieb 1952 die FAZ, als Strauß sich mit seiner Rede für die Wiederbewaffnung im Deutschen Bundestag Gehör verschaffte und für höhere Ämter bewarb. Konrad Adenauer machte ihn daraufhin zum Minister für besondere Aufgaben, dann zum Atom- und schließlich ab 1956 zum Verteidigungsminister.

Damit war der 1915 geborene Metzgerssohn aus München aber noch lange nicht am Ziel. Er strebte nach dem Parteivorsitz der CSU und nach der Kanzlerschaft. Den Vorsitz in Bayern hatte er lange inne, den über das Bundeskabinett jedoch nie. Der studierte Altphilologe, bei Kriegsende Oberleutnant der Wehrmacht, blieb bis zu seinem Ableben 1988 der Rechtsausleger der CDU/CSU und damit der Lieblingsfeind der deutschen Linken. Wie Strauß’ Rhetorik Freund und Feind mobilisierte, daran erinnert nun das vorzügliche und höchst amüsante Hörbuch von Jürgen Roth: „Franz Josef Strauß: Mich können Sie nicht stoppen, ich bin da!“ (Kunstmann Verlag 2012, gesprochen von Gert Heidenreich, 2 CDs m. v. Originaltönen).

Strauß teilte aus und steckte ein. „Was für ein Schmierfink“, sagte er über Kolumnenschreiber, die ihm nicht passten. Politische Gegner aus der linkssozialdemokratischen Ecke titulierte er als „Ratten und Schmeißfliegen“. Strauß schwadronierte: „Ich habe immer gesagt nach dem Vorwurf, ich sei ein Kalter Krieger: Lieber Kalter Krieger als warmer Bruder!“

Doch auch die politischen Gegner wie Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein erwiesen dem Brachialpolitiker Respekt. Er sei „ein Mann mit Eigenschaften“ und „der bedeutendste bayrischen Politiker nach 1900“, so Augstein. „Ich betrachte mich ruhig als Alpen-Churchill“ – so Strauß weniger plump agierte, konnte er mitunter als Volkstribun an Karl Valentin heranreichen. Man konnte vieles gegen ihn einwenden, doch langweilig wurde es mit ihm nie. Er beherrschte die freie, die ungesicherte Rede und hatte in seinen besseren Momenten einen hohen Unterhaltungswert.

Einen, den auch seine Kontrahenten Herbert Wehner und Helmut Schmidt von der SPD zu würdigen wussten. „Was nützt uns die beste Sozialpolitik, wenn die Kosaken kommen,“ so mobilisierte der Bayer zwar die alten Ressentiments gegen Osten und Kommunismus, zeigte sich aber hin und wieder auch weniger verbohrt: „Politiker und Schauspieler haben einiges gemeinsam, ferner glaube ich, dass es in der Kunst der politischen Verstellung größere Meister gibt als mich.“ Die Politik war Strauß’ Theaterbühne. Er war oft bewusst doppeldeutig und rechnete dabei Lacher auf seine Kosten mit ein. Diese rednerische Emotionalität – und wenn auch zumeist kalkulierte – Spontaneität hat retrospektiv etwas Erfrischendes, zumal sie sich im (Kanzler-)Amte nie verwirklichen durfte und in vielem Bühnensprache blieb. Nur konsequent, dass die CD-Produktion viele der Strauß-Tondokumente mit dem bayrischen Defiliermarsch unterlegt und so die inszenierte Volkstümlichkeit seiner Redeweise noch hervorhebt.

Doch vieles an Strauß war nicht nur komisch, sondern bezeichnet vielmehr die steinharten, ganz und gar unwitzig gemeinten ideologischen Konflikte der alten Bundesrepublik.

Strauß sprach gern von den „geschichtlich geläuterten Nationalen“. Willy Brandt sah in ihm auch ein „Opfer von Zwangsvorstellungen“, der zusammen mit seinem jüngeren Helfer Edmund Stoiber den CDU-Kampfslogan „Freiheit oder Sozialismus“ weiter in Richtung „Nationalsozialismus = Sozialismus“ trieb.

Von solchen Formeln dürfte auch der freiheitsliebende Herr Gauck weit entfernt sein. Selbst seine politischen Gegner aus der Linken können bislang auch noch von ihm nicht behaupten, wie weiland von Strauß als „Ratten und Schmeißfliegen“ bezeichnet worden zu sein. „Nach unserer Generation darf es keinen Kommunismus mehr geben“, hatte Strauß getönt, selber Geschäfte mit der DDR gemacht, Altnazis umworben und dann den Untergang des Ostblocks nicht mehr persönlich erlebt.

Heute wäre er vielleicht wie so manch einer längst zum Menschenrechtler mutiert. In den 1970ern lobte man hingegen noch den Militärputsch in Chile („die Demokratie muss manchmal in Blut gebadet werden“). „Man muss einige wenige Grundsätze haben und diese elastisch handhaben,“ sagte er, der sich und seinen Amigos zu Lebzeiten ein eigenes Imperium schuf, eines, von dem Wulff nur träumen konnte und das Gauck wohl kaum anstreben dürfte.

Andreas Fanizadeh leitet das Kulturressort der taz Foto: privat