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Einübung in die Diktatur, die kommt

Uraufführung in Göttingen: Die Spielfreude des Deutschen Theater-Ensembles rettet das Lehrstück „Die ersten hundert Tage“. Der Text ist arg konstruiert

Mariann Yar hält als Investigativ-Journalistin Roya den Glauben an den Widerstand wach Foto: Anton Saeckl/Deutsches Theater

Von Jens Fischer

Toll! Die mit ihren langen Planungs- und Produktionszeiten hadernden Theater können auch brandheiße Aktualität auf die Bühne holen. In Ungarn und Italien regieren Rechtspopulisten, von den USA ganz zu schweigen, in den Niederlanden regieren sie mit, in Österreich und Deutschland drohte gerade ein ähnliches Szenario. Und schon bringt das Deutsche Theater Göttingen ein Stück zur Uraufführung, in dem „Die ersten hundert Tage“ einer AfD-Regierung in der Bundesrepublik resümiert werden.

Möglich wurde das aber nicht mithilfe eines Schnellschreibdramatikers und fixer Spielplanänderung, sondern dank Antizipation des Autors Lars Werner. Er formulierte und komponierte den dystopischen Text bereits vor mehr als einem Jahr, um die möglichen Folgen der rechten Machtübernahme an einer Clique irgendwie Linker zu verhandeln. An der Universität waren sie noch durch diverse Liebesbeziehungen miteinander verbandelt. Jetzt werden die Risse im Miteinander zu Bruchkanten ihrer moralischen Ansprüche, politischen Überzeugungen und Lebensentwürfe.

Regisseurin Ebru Tartıcı Borchers ließ sich wie schon für ihre „Antigone“ am Staatstheater Oldenburg einen abweisend kalt-kantigen Versammlungsplatz als Diskursort bauen. Nicht schön, funktioniert aber als offener Raum für gegensätzliche Positionierungen. Geht es doch um Haltungen – wie bei der Machtübernahme der Nazis. Ist äußere oder innere Emigration eine Widerstandsform und inwieweit Anpassung zu rechtfertigen? Silvio (Christoph Türkay) blieb in AfD-Deutschland, drei Freun­d:in­nen fühlten sich verloren in einem Land rechter Radikalisierung und gingen nach Tschechien ins Exil. Jetzt kommen alle auf Silvios Einladung in der Gastro-Ecke einer Tankstelle zusammen.

Die ersten hundert Tage, von Lars Werner, Deutsches Theater Göttingen, DT 2, wieder am 20. und 27. 3. sowie am 3.und 17. 4., auch am 3. und 14. 5. jeweils 20 Uhr

In ihre prompt startenden Streitereien eingeflochten sind Aussagen, welche Angstszenarien der Anti-rechts-Protestler und welche Forderungen aus dem AfD-Wahlprogramm bereits realisiert sind. Von Hetzjagden und Bürgerwehren geht die Rede. Theater, Bibliotheken, „queerfreundliche“ Clubs und Geflüchtetenheime seien geschlossen, Mutterschafts-Prämien würden für nicht ­migrantische Kinder gezahlt, Waffengesetze gelockert, Rundfunkbeiträge und Erbschaftssteuer gestrichen. Es gelte Visa­freiheit für Russen, Demoverbot für alle, Lehrverbot für ausländische Pro­fs und so weiter. In Marins Kopf blitzt all das zusammen mit Erinnerungen an die Geschichte der Clique auf. „Du kannst immer auf etwas neues Grauenhaftes warten. Das ist ja das Tolle an der Panik“, beschreibt Marin (Moritz Schulze) das Zeitgeistgefühl. Er ist ein überforderter Beobachter, möchte gern auf der richtigen Seite stehen, war daher immer Mitläufer, nie Aktivist der linken Szene. Roya (Mariann Yar) hingegen ist Investigativ-Journalistin, lebt jetzt vom Kellnern, bloggt aber weiter über Verbindungen der AfD zu Putins Machtkaste.

„Du kannst immer auf etwas neues Grauenhaftes warten. Das ist ja das Tolle an der Panik“

Lars Werner legt seinen Figuren pointierte Analysen in den Mund

Und Gender-Forscherin Lou (Yve Grieser) ist raus aus Deutschland, weil diese Studiengänge abgeschafft wurden. Die drei begrüßen Silvio mit: „Wie bequem lebt es sich im Faschismus?“ Er will „den Ball flach halten“, habe sich doch nur etwas mit dem Regime arrangiert für seinen Traum von Familie und einem gut dotierten Job. Die Exposition des Personals dauert. Spannung erzeugt der Autor mit Anspielungen, dass Silvio die Clique bereits auf seiner Hochzeit irritierend angeblafft habe. Es folgen Konkretisierungen, die zeigen, dass er politisch auf der anderen Seite steht. „Ihr seid nicht sauber, nur weil ich ein bisschen dreckiger bin“, versucht Silvio sich rauszureden, gibt aber zu, für ein rechtes Hetzblatt zu arbeiten, sodass seine linke Vergangenheit nicht öffentlich werden dürfe.

Auf einem abweisend-abstrakten Versammlungsplatz siedelt Regisseurin Ebru Tartıcı Borchers das Geschehen an Foto: Anton Saeckl/DThGT

Daher bittet er seine Ex-Freund:innen, ihn bei entsprechenden Verhören zu verleugnen. Marin flüchtet. Den anderen beiden bietet Silvio eine Gegenleistung an. Roya würde nicht verhaftet, wenn sie nach Deutschland einreise und ihre totkranke Mutter besuche. Lou dürfe sich auch in Deutschland um trans* Jugendliche kümmern. Schmutzige Deals für das Gute? Die beiden nehmen an. Das wird auffliegen: Wenn Rechte mit Linken kollaborieren, wird das beiden auf die Füße fallen. Wer mag, kann das eine hoffnungsvolle Zukunftsaussicht nennen.

Als Theaterstück ist das arg konstruiert. Das Horrorszenario AfD-Regierung dient nur als Setzung, um biografische Ausformulierungen studentisch linker Überzeugungen zu präsentieren und die Erosion von Freundschaft zu beleuchten. Aber schnörkellos ist das inszeniert. Und die zu Typen formatierten Figuren füllt das energiegeladene Ensemble mit prallem Leben, sodass die Kontroversen doch noch die nötige Dringlichkeit erhalten.

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