: Müllkippe wird zur Gedenkstätte
Die Geschichtswerkstatt Minsk erforscht mit Unterstützung aus Dortmund die Vergangenheit eines NS-Todeslagers im Süden der Hauptstadt Weißrusslands. Bisher erinnert nichts auf dem Gelände an das Geschehene, es ist zur Müllkippe verkommen
AUS MINSKHOLGER ELFES
Auschwitz, Treblinka, Majdanek – bekannte Orte auf der Landkarte des Grauens und Inbegriffe der massenhaften Ermordung von Juden während der NS-Herrschaft über weite Teile Europas. Fast unbekannt ist hingegen das Vernichtungslager Trostenez, rund 15 Kilometer südöstlich vom Stadtzentrum der weißrussischen Hauptstadt Minsk. 546.000 Menschen wurden hier zwischen November 1941 und Juni 1944 nach Erkenntnissen weißrussischer Historiker ermordet – die meisten davon Juden aus der Sowjetunion und anderen Teilen Europas.
Keine Gedenkstätte erinnert an das Geschehene. „Das Gelände ist heute eine Müllkippe“, berichtet Peter Junge-Wentrup vom Dortmunder Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk e.V. (IBB), „Die Geschichte von Trostenez ist nie geschrieben worden. Stalin hat die dortigen Ereignisse nicht zum Thema der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse machen wollen.“ Hintergrund: Bevor die Deutschen in Trostenez mordeten, nutzten nach Meinung weißrussischer Historiker bereits die Volkskommissariate für Innere Angelegenheiten (NKWD) ein Vorgängerlager für Massenerschießungen. Vor der Ermordung pferchte die Wehrmacht die in Minsk verbliebenen 85.000 Juden in ein Ghetto, das drei Wochen nach der Eroberung der Stadt am 19. Juli 1941 im Westen der Stadt eingerichtet wurde. Das IBB hat nun gemeinsam mit dem Verband der Jüdischen Gemeinden in Belarus eines der ganz wenigen noch vorhandenen Originalgebäude des Ghettos angemietet und hat es zu einer “Geschichtswerkstatt“ umgebaut, in der seit 2004 deutsche und weißrussische Historiker gemeinsam forschen.
“Wir setzen große Hoffnung in dieses Projekt“, betont Leonid Lewin, Vorsitzender des Gemeindeverbandes Belarus und Hauptinitiator der Aufarbeitung der Geschichte vom Vernichtungslager und Ghetto, „Für meine Generation ist es genug, dass 60 Jahre niemand über Trostenez sprach.“ Lewin unterhält auch noch Kontakte zu den ganz wenigen jüdischen und nichtjüdischen Überlebenden – Kontakte zu Augenzeugen, die die Geschichtswerkstatt wird nutzen können.
Finanziert wird der Aufbau der Einrichtung zum größten Teil mit Mitteln der Bundesregierung. Aufgrund der weitgehenden Isolierung des diktatorisch regierten Landes unterhält Deutschland nur minimale diplomatische Beziehungen zu der ehemaligen Sowjetrepublik. Stattdessen unterstützt der Bund vielfältige konkrete Hilfs- und Partnerschaftsinitiativen im Rahmen des Förderprogramms Belarus.
Parallel zur deutsch-belarussischen Forschungstätigkeit ist eine kleine Ausstellung aufgebaut worden, die die Ergebnisse für Besucher eindrucksvoll dokumentiert. Aufgeklappte leere Koffer mit Namensschildern erinnern an ausgelöschte Leben, zeitgenössische Kunst verdeutlich das Grauen des Genozids. Eine Dokumentation der Forschungsarbeit ist beim Dortmunder IBB erhältlich.
Leicht sind solche Projekte in Belarus nicht in Gang zu bringen. „Obwohl gerade die jungen Historiker dort hoch motiviert sind mitzuwirken, haben wir eine Menge Hindernisse überwinden müssen“, resümiert Peter Junge-Wentrup. Antisemitische Tendenzen seien in der Gesellschaft und den staatlichen Strukturen des Landes zu erkennen gewesen, heißt es in einer IBB-Dokumentation. So sollte das ehemalige Ghetto-Gebäude nach dem Willen der Stadtverwaltung einem Parkhaus weichen, das angrenzende Gelände, auf dem der jüdische Friedhof des Ghettos lag, sogar mit einer Straße überbaut werden. Drei Gedenksteine, die an die Tausenden aus Düsseldorf, Hamburg und Bremen ins Minsker Ghetto deportierten Juden erinnern, wurden mehrfach mit Graffitis beschmiert.
Nach langwierigen Verhandlungen und auch unter dem Druck des weißrussischen Gemeindeverbandes wurde die Frage der Anmietung schließlich auf allerhöchster politischer Ebene, vom Ministerrat des Landes, positiv beschieden. Zugleich sieht die Regierung in der Aufarbeitung der eigenen Geschichte aber offenbar auch ein schönes Geschäft: das baufällige Haus an der Uliza Suchaja wird der Geschichtswerkstatt zum stolzen Preis von 5,60 Euro pro Quadratmeter vermietet.