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Archiv-Artikel

Hoffnung oder Frustration?

WELTRECHTSPRINZIP Gegen Menschenrechtsverbrecher wie General Pinochet ermittelte die spanische Justiz. Nun soll sie auf nationales Terrain zurückgepfiffen werden. Eine Intervention

Wolfgang Kaleck

Berliner Rechtsanwalt, Mitbegründer und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (www.ecch.de), vertritt unter anderen Folteropfer aus Argentinien, Usbekistan und Tschetschenien, Irak und Guantánamo.

VON WOLFGANG KALECK

De la frustración a la esperanza“, von der Frustration zur Hoffnung, so betitelte die Madrider Universität Complutense ihren diesjährigen Sommerkurs zur internationalen Strafjustiz mit dem bekannten spanischen Ermittlungsrichter Baltasar Garzón. Doch was in den letzten Monaten in Spanien geschah, legt eher nahe, diesen Titel umzukehren von der Hoffnung zur Frustration.

Denn die spanische Justiz, auf die seit der Verhaftung des chilenischen Exdiktators Augusto Pinochet im Jahre 1998 Opfer von Menschenrechtsverletzungen und Organisationen auf der ganzen Welt hoffen, ist unter Beschuss geraten. Verfahren gegen Menschenrechtsverletzer werden eingestellt, und die spanischen Gesetze, die die Strafverfolgung erlaubten, sollen reformiert werden.

Kampf um Ermittlungen

Seit Sommer 2008 geben sich Regierungsvertreter aus Ruanda, Israel, China und den USA sowie der Afrikanischen Union bei der spanischen Regierung die Klinke in die Hand. Sie beschweren sich darüber, dass in Spanien Strafverfahren gegen Menschenrechtsverletzer aus Ruanda, China, Israel und den USA laufen. Die Weiterführung jeder einzelnen dieser Ermittlungen ist zur Zeit international hart umkämpft. Der spanische Generalstaatsanwalt Javier Zaragoza assistierte den protestierenden Regierungen mit der Bemerkung, Spanien dürfe den Internationalen Strafgerichtshof nicht ersetzen.

Problem verkannt, möchte man da einwenden. Denn die meisten der von spanischen Gerichten ermittelten Menschenrechtsverbrechen fallen nicht in die Kompetenz des Haager Gerichtes, weil sie vor Inkrafttreten des Statuts 2002 oder von Bürgern solcher Staaten begangen wurden, die sich dem Statut nicht unterworfen hatten. Doch Sachargumente zählen in der emotionalen Diskussion nicht viel. In einem problematischen Gesetzesverfahren entschied der Kongress, das Gesetz (Ley Orgánica del Poder Judical) zu ändern, das die internationale Strafverfolgung von Folter und Völkermord in Spanien ermöglichte. In Zukunft sollen nur noch solche Ermittlungen erlaubt sein, die sich auf Taten auf spanischem Hoheitsgebiet, gegen spanische Bürger oder bei Taten mit einem relevanten Bezug zu Spanien beziehen, was auch immer das im Einzelnen sein mag.

Warum sind die Entwicklungen in Spanien so wichtig? Die Verfolgung von Völkerstraftaten auf internationaler Ebene war nach den Nürnberger und den Tokioter Hauptkriegsverbrecherprozessen nach dem Zweiten Weltkrieg beschlossene Sache. Es sollte nicht mehr den Nationalstaaten selbst überlassen bleiben, Geschehnisse wie Völkermord und Kriegsverbrechen zu verfolgen oder nicht zu verfolgen. Die Staatengemeinschaft als ganze sollte die Strafverfolgung übernehmen können, wenn schwerste Menschenrechtsverbrechen am Ort der Taten unbestraft blieben. Es dauerte allerdings bis zu den 90er-Jahren, also bis nach Ende des Kalten Krieges, ehe mit den UN-Tribunalen zu Jugoslawien und Ruanda und der Etablierung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag die internationale Strafjustiz langsam Formen annahm. Doch die internationalen Richter sind nur für Menschenrechtsverletzungen in bestimmten Regionen und Zeiträumen zuständig, zudem sind die Mittel begrenzt. Daher wurden in einigen europäischen Staaten Strafverfahren gegen Tatverdächtige aus Drittstaaten aufgenommen.

Nach dem sogenannten Weltrechtsprinzip, auch „universelle Jurisdiktion“ genannt, wurden Menschenrechtsverbrechen, die nicht auf eigenem Staatsgebiet, nicht von oder nicht gegen eigene Staatsbürger verübt wurden, verfolgt. Dies funktioniert seitdem in Dutzenden von Fällen vor allem dann, wenn sich die Verfolgung gegen Täter aus gefallenen oder schwachen Staaten richtet. So wurde in Deutschland in den 90er-Jahren gegen bosnische Serben, in Belgien gegen Tatverdächtige aus Ruanda erfolgreich ermittelt.

Die Partido Popular hat sich auf den Ermittlungsrichter Baltasar Garzón eingeschossen

Doch die Strafverfolgung blieb selektiv. Denn als sich die belgische Justiz zunächst Ariel Scharon, der damalige israelischen Premier, und später der US-Regierung wegen des Irakkriegs zuwandte, geriet sie unter starken Druck. Ohne Unterstützung der anderen europäischen Staaten musste Belgien den Drohungen der USA, u. a. das Nato-Hauptquartier aus Brüssel abzuziehen, nachgeben und seine gesetzlichen Zuständigkeiten stark beschränken. In Deutschland trat zwar 2002 das Völkerstrafgesetzbuch in Kraft, das eine weitgehende Strafverfolgung zulassen würde, doch die bundesdeutschen Strafverfolger zögern mit der Anwendung des Gesetzes, zumal wenn es um die Aufnahme von Ermittlungen gegen Bündnispartner aus Usbekistan oder den USA ginge.

Der Pinochet-Effekt

Hier kommt nun Spanien ins Spiel: Seit der Pinochet-Verhaftung in London im Herbst 1998 initiierten Juristen- und Menschenrechtsorganisationen zahlreiche, aufwendige Ermittlungen gegen Militärs und Regierungen aus Argentinien, Chile, Guatemala, El Salvador, Ruanda, aber auch aus China, Israel und den USA. Diese Aktivitäten der spanischen Justiz trugen sowohl in den Ländern, in denen die Menschenrechtverletzungen begangen worden waren, als auch global enorm zum Menschenrechtsschutz bei. Die Verhaftung Pinochets, der wie viele andere Diktatoren im eigenen Land als unantastbar galt, motivierte Menschenrechtsorganisationen und JuristInnen auf der ganzen Welt, Menschenrechtsverletzer juristisch zur Verantwortung zu ziehen. Der Fall Pinochet war daher immer mehr als ein Einzelfall. Er stand für ein Konzept, das den traumatischen Folgen von Straflosigkeit für schwerste Menschenrechtsverbrechen für die betroffenen Opfer und Gesellschaften Rechnung trägt und die juristische Aufarbeitung solcher Taten für juristisch und politisch geboten hält.

Dies zeitigte sowohl in vielen Ländern des Südens Wirkung, wo auf lokaler und regionaler Ebene gegen vormals mächtige Menschenrechtsverletzer vorgegangen wurde, wie zuletzt mit beachtenswertem Erfolg bei der Verurteilung von Alberto Fujimori in Peru. Die US-amerikanische Rechtswissenschaftlerin Naomi Roht-Ariazas spricht daher vom sogenannten Pinochet-Effekt.

Beweise gesichert

Sachargumente zählen in der emotionalen Diskussion nicht viel

Unzweifelhaft hatten die weltweite Ächtung der Exmilitärs, die juristischen Entscheidungen und Diskussionen einen erhebliche Bedeutung für diese Entwicklung. In den argentinischen Verfahren, die sich zeitweilig gegen über einhundert argentinische Militärs richteten, deren Fahndung per Haftbefehl Spanien betrieb, wurden zudem in über zehn Jahren zahllose Beweise, unter anderem Zeugenaussagen durch die spanischen Behörden gesichert. Die so gewonnenen Beweismittel stehen den argentinischen Behörden zur Verfügung und werden auch genutzt.

Trotz solcher Erfolge scheinen sich in Spanien die Zeiten geändert zu haben: Natürlich strahlt der ebenso umstrittene wie bewunderte Ermittlungsrichter Baltasar Garzón immer noch diese an Arroganz grenzende Zuversicht aus, wenn er auf dem Sommerkurs vor einem überwiegend studentischen Publikum über die von ihm bearbeiteten Fälle spricht. Doch im persönlichen Gespräch wirkt er nachdenklicher als sonst. Denn die Angriffe gegen ihn und seine Kollegen wurden zuletzt immer persönlicher und kommen zunehmend aus den Reihen der spanischen Parteien und des Justizapparates. Insbesondere die Partido Popular (PP) hat sich auf den Richter eingeschossen, der neben weltweiten Menschenrechtsverletzungen als Ermittlungsrichter der Audencia Nacional Terrorismus-, Drogen- und Korruptionsverfahren führt und dabei nicht vor spanischen Politgrößen zurückgeschreckt ist.

So mussten sich schon Mitte der 90er-Jahre seine sozialistischen Parteifreunde in den sogenannten GAL-Verfahren wegen Folterungen und Liquidierungen von mutmaßlichen ETA-Kadern verantworten. In dem laufenden Korruptionsverfahren gegen hochrangige Funktionsträger der PP aus Madrid und Valencia, dem sogenannten Caso Gürtel, versuchte die PP die Ermittlungen – im Übrigen ohne Erfolg – zu stoppen, indem sie Garzón vorwarf, er betreibe ein politisches Verfahren gegen die gesamte Partei. So richtig ins Wespennest stach Garzón, als er begann, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter dem Franco-Regime zu ermitteln. Die Todesursachen zahlreicher unter dessen Diktatur Verschwundener und Getöteter, so des Schriftstellers García Lorca, sollten untersucht, Massengräber ausgehoben werden. Mit einem umstrittenen Beschluss wurden diese Ermittlungen auf Bundesebene durch das Madrider Bundesgericht (Audiencia National) beendet. Dennoch erstattete die rechtsextreme Organisation Manos Limpias Strafanzeige gegen Garzón wegen Rechtsbeugung. Grund waren die von ihm aufgenommenen Ermittlungen. Erstaunlicherweise und durchaus aussagekräftig für die momentanen Verwerfungen innerhalb des spanischen Justizsystems wurde die Anklage gegen Garzón vom Obersten Gerichtshof zugelassen.

Spanien war Motor und Hoffnungsträger einer juristischen Entwicklung. Hier wurden stellvertretend für die europäischen Staaten Strafverfahren betrieben, die ebenso notwenig wie in anderen Staaten aus juristischen und politischen Gründen unmöglich waren. Die meisten dieser Verfahren gegen Staatsbürger afrikanischer und besiegter Staaten sind, für sich genommen, juristisch gerechtfertigt, doch die selektive Praxis stieß vor allem in Afrika, aber auch in anderen Regionen des Südens auf starke Kritik. Wenn daher das spanische Modell scheitern sollte, wird die strafrechtliche Ahndung von Menschenrechtsverbrechen, wenn nicht der gesamte Menschenrechtsdiskurs, weiter delegitimiert. Die Alternative dazu ist die Verteidigung der spanischen Praxis auf europäischer Ebene und die Initiierung von juristischen Verfahren in anderen europäischen Ländern.