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Archiv-Artikel

„Geh aus dem Weg – und gib den Blick frei“

INGLOURIOUS BASTERDS Er ist ein Meister der zynischen Energie: der Schauspieler Christoph Waltz aus Wien. Ab 20. August ist er als SS-Hauptmann in Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ im Kino zu sehen. Ein Gespräch über Kriegs-filme, Sprachlust und aufgeklebte Hitlerbärtchen

Christoph Waltz

■ Geboren am 4. Oktober 1956 in Wien. Schauspielausbildung am Max-Reinhardt-Seminar in Wien und am Lee Strasberg Theatre Institute in New York. Seit 1976 spielte er u. a. in Frankfurt am Main, Salzburg, Hamburg und am Burgtheater Wien Theater. Von New York zog er zurück nach Europa, heute lebt er in London und Berlin.

■ Im Fernsehen fiel er als Roy Black in „Du bist nicht allein. Die Roy Black Story“ (1996) und als Oetker-Entführer in dem Film „Der Tanz mit dem Teufel. Die Entführung des Richard Oetker“ (2001) auf, beide von Peter Keglevic inszeniert.

■ Im Kino hat Waltz oft prägnante Nebenrollen inne, wie die des Psychoanalytikers in Oskar Roehlers Film „Der alte Affe Angst“ (2003). Für die schillernde Rolle des SS-Obersts Landa in Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ erhielt Waltz im Mai in Cannes die Auszeichnung als bester männlicher Darsteller. Tarantino habe ihm seine Berufung zurückgegeben, sagte Waltz zum Dank.

INTERVIEW STEFAN GRISSEMANN

taz: Herr Waltz, Sie wurden vor wenigen Wochen in Cannes für Ihre Darstellung des Hans Landa in Tarantinos „Inglourious Basterds“ als bester Schauspieler ausgezeichnet …

Christoph Waltz: Moment, halt! Nix „bester“! Der Superlativ wird in Cannes stilvollerweise weggelassen, das ist bloß der „Prix d’interprétation masculine“.

Allerdings der einzige.

Na ja, das schon.

Sie haben das Schauspielern als einen „Albtraumberuf“ bezeichnet. Wieso mögen Sie Ihre Profession so wenig?

Weil man als Akteur im wahren Sinne des Wortes seine Haut zu Markte trägt. Im Schauspieler stecken der Geschäftsmann und der Künstler, in dem wiederum auch ein Autor und ein Regisseur seiner selbst stecken: Da fallen so viele Dinge in einer Person zusammen, aber es ist halt nur eine Person. Ich kann mir vorstellen, dass der Wunsch, Schauspieler zu werden, auf einer fehlerhaften psychologischen Grunddisposition beruht – also mehr oder weniger auf einer Entwicklungsstörung.

Wie meinen Sie das denn?

Jeder will irgendwann mal Schauspieler werden, aber die meisten entwachsen diesem Wunsch sehr bald. Wer jedoch, diesen Beruf ergreift, ist offenbar außerstande, jenem kindlichen Wunsch zu entwachsen. Nun macht aber auch der Schauspieler diese Entwicklung natürlich irgendwann durch, nolens volens – aber dann klebt einem der Beruf schon an der Backe.

Ist die Schauspielerei nicht auch deshalb so eine Gratwanderung, weil sie eine so gewagte Mischung aus Narzissmus und Selbstkritik ist?

So hehr und geistig-idealistisch ist die Schauspielerei nicht. Es gibt auch Ärzte, die ihren Job aus Leidenschaft und mit großer Ernsthaftigkeit betreiben, andere wieder tun das bloß nebenbei, um sich den besten Golfklub leisten zu können.

Als Sie das Drehbuch von „Inglourious Basterds“ lasen, hielten Sie es zunächst für zu durchgeknallt?

Nicht für zu durchgeknallt. Für völlig durchgeknallt!

Aber schrittweise erkannten Sie seine Qualitäten. Hatten Sie kein Problem damit, zu Ihrem SS-Mann eine Art von Liebe zu entdecken?

Überhaupt nicht. Sie meinen, weil der ein Nazi ist?

Ja, und er ist sadistisch, regelrecht dämonisch.

Das ist aber kein Problem. Der Akteur tut, was zu tun ist – und nicht das, was er von der Sache hält. Denn Meinung ist schwer in Aktion umzusetzen.

Man könnte glauben, es sei unglaublich lustig, mit Quentin Tarantino zu drehen. Er selbst fand es diesmal gar nicht amüsant, weil alles so schnell gehen musste. Wie war das für Sie? Lustvoll?

Ja. Aber ich muss gestehen, je schwieriger mir etwas erscheint, desto lieber hab ich’s. Ich komme gern an den Punkt, an dem all das, was mir zur Verfügung steht, gefordert ist. Weil ich immer gern wissen würde, ob mir doch noch ein bisschen mehr zur Verfügung steht als das, womit ich mich so begnüge. Und dafür ist im Kino letztlich mehr Platz – schlicht deshalb, weil sich mehr Beteiligte dies wünschen.

Haben Sie beim Drehen starke Nerven? Können Sie den achten Take nach gescheiterten sieben Aufnahmen noch unbelastet absolvieren?

Na, unbelastet hätte ja keinen Sinn. Aber versuchen würde ich’s in jedem Fall. Ich hab mal stärkere Nerven, mal schwächere, aber bei Wiederholungen laufe ich warm, das ist meine Spezialität.

Sie spielen diesen Hans Landa in Tarantinos Film mit viel komischer Energie: Das ist ein Sprach- und Sprechspieler – und ein Ordnungsfanatiker. Hatten Sie da Modelle?

Nein! Es wurde irgendwann mal modern, sich an lebenden oder toten Figuren zu orientieren. Ich verweigere das kategorisch. Nicht weil es schädlich wäre, die Verhaltensweisen historischer Figuren zu studieren, sondern weil ich nicht weiß, was genau mir das bringen sollte. Natürlich schau ich mich um; aber ich vertiefe mich nicht in konkrete Modelle. Sonst würde ich mich ja immer nur an Sekundärmaterial halten.

Großes dramatisches Schauspiel mögen Sie demnach nicht so, oder?

Ich empfinde als Zuschauer dramatische Schauspielerei als Behinderung. Ich will mich nicht dafür schämen müssen, mein Hirn angeschaltet zu lassen, wenn ich ins Kino gehe. Als Zuschauer wird mir durch zu viel Schauspielerei oft der Blick verstellt. Ich will aber als Schauspieler den Blick des Zuschauers auf die Inhalte lieber frei machen. Im Grunde lässt sich mein Berufsverständnis auf einen Satz reduzieren: Geh aus dem Weg – und gib den Blick frei auf das, was wirklich wichtig ist!

NS-Dramen sind im deutschsprachigen Kino omnipräsent. Die wüste Trash-Operette „Inglourious Basterds“ ist die Antithese dazu. Stehen Sie scheinhistorischen Unternehmungen wie dem Film „Der Untergang“ kritisch gegenüber?

Nicht bloß kritisch, sondern mit aller Vehemenz in Opposition. Ich halte die Behauptung, zu wissen, was wahr ist, und die Verwertung von Geschichte in Spielfilmen für dubios, eigentlich sogar: für von Grund auf abzulehnen. Ich sehe nicht ein, wieso ein Staatsschauspieler, dem man ein Bärtchen aufgeklebt hat, mehr Anspruch auf Wahrheit haben sollte als irgendeine Kasperlpuppe.

Martin Wuttke legt seinen Hitler in „Inglourious Basterds“ gleich offensiv als eine solche Kasperlpuppe an.

Ich finde es nicht nur legitim, sondern nachgerade zwingend, Hitler derart überzogen komödiantisch zu spielen. Sonst stünde ja auch Tarantino selbst mit einem Bein in dieser vor Ergriffenheit bibbernden Wahrheitsnummer. Natürlich gibt es historische Fakten. Aber in dem Moment, wo ich eine Kamera aufstelle, entferne ich mich automatisch von den Fakten. Das Resultat ist eine Erzählung. Und wo soll eine Erzählung, die von sich behauptet, die Realität abzubilden, näher an der Wahrheit sein als die von Quentin Tarantino?

Tarantino ist eben näher an der Obszönität der NS-Historie. Die angepasste Form eines Films wie „Der Untergang“ verrät die Wirklichkeit ungleich mehr als ein vulgärer Cartoon wie „Inglourious Basterds“.

„In dem Moment, wo ich eine Kamera aufstelle, entferne ich mich automatisch von den Fakten“

Ja, und Filme wie „Der Untergang“ dienen nur dazu, dass wir uns ohne großen Aufwand auf der richtigen, nämlich der sicheren Seite wähnen können. Unsere kritischen Fakultäten müssen wir da gar nicht mehr anknipsen, weil diese Filme uns bestätigen, dass eh alles in Ordnung ist.

Ihre Filmografie umfasst bereits an die 100 Arbeiten. Halten Sie sich für einen extrem produktiven Schauspieler?

Weiß ich nicht, nein. Da sind ja auch viele Lebenskostenerhaltungsjobs dabei. Und ich bin halt lange dabei. Da kommt schon was zusammen.

Am Theater arbeiten Sie bereits seit 15 Jahren nicht mehr. Warum nicht?

Ich komme da, ehrlich gesagt, nicht mehr mit. Ich kann nicht mehr wahrnehmen, was am Theater passiert. Mein kognitiver Apparat scheint da falsch verdrahtet zu sein. Ich versteh’s nicht mehr. Dabei bemühe ich mich sehr, versuche, mir die Dinge unbelastet anzuschauen – so ein bisschen mit Kinderaugen, wenn ich das Klischee bemühen darf.

„Inglourious Basterds“ ist auch ein Film über Sprache, über die Um- und Abwege des Redens. Dabei haben Sie es geschafft, den Tarantino-Swing ins Wienerische zu übersetzen.

Das kam dem US-Original am allernächsten. Denn das Wienerische hat zum Glück eine etwas andere Syntax als das Hochdeutsche – und sie war mit Tarantinos Text fast identisch! Im Wienerischen wird mit dem Verb am Ende des Satzes ja gern ein bisschen großzügiger umgegangen – und manchmal wird es in den Satz mitten hineingesetzt. Das Hochdeutsche, stelle ich fest, eignet sich für Komödien weit weniger gut, gerade wegen dieser Syntax. Wienerisch dagegen ist eine ungleich lustvollere, daher auch lustigere Art des Deutschen.

In diesem dringenden Interesse an der Sprache scheinen Sie mit Ihrer Figur in Tarantinos Film, Hans Landa, sehr übereinzustimmen.

Vielleicht, ja. Das Performative der Sprache steht bei Tarantino ja im Zentrum – und dabei geht es immer auch um das Bilden einer Realität und einer Art der Wahrheit.

Rechnen Sie sich eine Chance bei der Oscar-Verleihung 2010 aus? Sie sind als Anwärter auf eine Nominierung bereits im Gespräch.

Selbst wenn ich meine kurzen Anflüge von Größenwahn habe, ist der Gedanke an solche Auszeichnungen für mich kein Thema. Die Herumrechnerei am Erfolg macht wahnsinnig schwer, behindert nur die Fantasie für andere, lohnendere Dinge.