Die Datenbanken schlagen zurück

Grassiert in den USA: Identitätsdiebstahl. Die Regierung ist schon ganz neidisch auf die Daten, die private Firmen über US-Bürger gesammelt haben

Aus dem unrasierten Mann im Morgenrock mit der Bierflasche in der Hand kommt eine Piepsstimme, deren Komik man sich kaum entziehen kann. Der Lederhandtasche mit dem Perlenbesatz habe er einfach nicht widerstehen können, flötet er nervtötend, während er missmutig in die Kamera starrt. Diesem Mann kann geholfen werden, sagt sodann das Voiceover in dem Werbespot für eine amerikanische Privatkundenbank. Ihm wurde, das ist nicht zu überhören, die Identität gestohlen – ein immer häufiger auftretendes Malheur, für das es nun jedoch individuelle Lösungen gebe.

Tatsächlich ist das, was hier Identitätsdiebstahl genannt wird, ein grassierendes Problem in den USA. Erst Mitte April wurde bekannt, dass die Sozialversicherungsnummern, Führerscheindaten und Adressen von 310.000 Amerikanern aus der Datenbank des Informationsriesen Nexis Lexis für kriminelle Zwecke entwendet wurden. Ein Konkurrent von Nexis Lexis, die Firma Choice Point, lieferte unwissentlich Daten über Privatpersonen in unbekanntem Umfang an die organisierte Kriminalität.

Die Datenbank-Industrie in den USA hat einen Umsatz von rund fünf Milliarden Dollar jährlich. Nachdem der Datendiebstahl in großem Umfang bekannt geworden ist, versuchen demokratische Kongressabgeordnete jetzt ein Gesetz durchzubringen, dass diese Industrie enger überwacht. Doch selbst, wenn es im vor Terrorismus-Paranoia gelähmten Parlament gelänge, dieses Gesetz zu verabschieden, sind die Aussichten gering, dem freien Austausch von Privatdaten Einhalt zu gebieten: „Egal wie perfekt man die Systeme absichert – Identitätsdiebstahl ist nicht zu stoppen“, sagt Kurt Sanford, einer der Vorstände der Datengruppe Lexis Nexis.

Damit macht Sanford unfreiwillig und gegen seine eigenen Interessen klar, dass der Sündenfall nicht der Missbrauch, sondern die Existenz dieser Datenbanken war. Beinahe unbeachtet sind in den letzten Jahren kommerzielle Überwachungssysteme von Orwell’schem Ausmaß entstanden. Um Firmen beim zielgenaueren Vertrieb ihrer Produkte zu helfen, haben Datensammler wie Nexis Lexis, Choice Point oder Axicom über Jahre ungehindert Personendaten aus den verschiedensten Quellen erhoben – Kreditkarteneinkäufe, Anrufe an gebührenfreie Nummern, ja sogar die Uhrzeiten, zu denen per Magnetkarte Hotelzimmer betreten und verlassen wurden.

In seinem gerade erschienen Buch „No Place to Hide“ schreibt der Reporter der Washington Post, Robert O’Harrow Jr., dass etwa die Lexis-Nexis-Tochter Seisint Daten zu jedem Bürger der USA hat, die sie jederzeit gemäß jedem Bedarf zusammenfügen kann.

Das freilich war der Traum des Vizeadmirals John Poindexter, als dieser im Pentagon nach dem 11. September 2001 das so genannte „Total Information Awareness“-Programm initiierte. Das Motto des Programms „Wissen ist Macht“ jagte jedoch dem Kongress Furcht ein, und so konnte der Überwachungsgier des Verteidigungsministeriums ein Riegel vorgeschoben werden. Jetzt schauen die Terrorismus-Bekämpfer in Washington neidisch auf die Industrie: „Die haben genau den Computer, vor dem alle Amerikaner Angst haben“, sagte Michael Mulloney, Terrorismus-Experte im Justizministerium, O’Harrow zu den Datenbanken von Choice Point.

Allzu sehr müssen sich die Datensammler in Washington jedoch nicht grämen. Denn Regierungsbehörden von örtlichen Polizeidienststellen bis zu Geheimdiensten sind, wie O’Harrow dokumentiert, gern gesehene Kunden bei Choice Point und Co. Der Weg, Überwachungsdaten bei privaten Firmen einzukaufen, hat für die Regierung sogar gegenüber der Schaffung eigener Datenbanken deutliche Vorteile – der Datenerwerb ist nämlich deutlich diskreter und vermeidet unliebsame Störgeräusche.

Davon sind jedoch auch nicht allzu viele zu befürchten. Der New-York-Times-Kolumnist William Safire bemerkt frustriert, dass die meisten Amerikaner bereitwillig ihre Daten preisgeben, um gegen die vermeintliche Terrorgefahr geschützt zu werden und um umfassend über die vielen schönen Produkte der amerikanischen Industrie informiert zu werden. Das „öffentlich-kommerzielle Sicherheitskombinat“, wie Safire die neue Industrie nennt, rennt offene Türen ein. 21 Jahre nach 1984 erzeugt der Überwachungsstaat nur noch ein Achselzucken. SEBASTIAN MOLL