: Gesundes Schwenkfutter
Per Glotze fit und virenfrei: Heilen von ansteckenden Krankheiten durch bloßes Weggucken des Programms
Von Patric Hemgesberg
„Und Action!“, hallt es durch die Rhinomed Studios in Hürth bei Köln. Auf Jean Kolkmeyers Geheiß lässt seine Regieassistentin die Filmklappe zuschnappen. Der in einen Bademantel gehüllte Darsteller gibt bereits beim ersten Take alles. Kaum hat er von seinem Inhaliergerät aufgeblickt und fanfarenartig in ein Papiertaschentuch geschnäuzt, schleudert er im Zuge eines Hustenkrampfs schon die nächste Salve an hochinfektiösen Tröpfchen Richtung Kamera. Dass der aschfahle Jungspund so schnell auf Betriebstemperatur kommen konnte, ist laut Kolkmeyer keine Überraschung.
„Schließlich leidet der Mann ja tatsächlich an einer faustdicken Erkältung“, gibt uns der Spielleiter gut gelaunt zu verstehen. Für den 44-Jährigen, der uns zu einer Rundtour durch das rheinische Hollywood eingeladen hat, ist Authentizität alles. „Seitdem Forscher herausgefunden haben, dass das bloße Ansehen von Menschen mit Grippesymptomen die Immunabwehr des Körpers stärker macht, sind unsere Videos der Verkaufsschlager im Internet“, schwärmt unser Gastgeber.
Gedreht werde meistens in der Grippesaison von Anfang Oktober bis Ende März. Ein normaler Heu- oder Sommerschnupfen würde den hohen Ansprüchen von Kolkmeyers Kunden ohnehin nicht gerecht. „Damit sich ein medizinisch messbarer Erfolg einstellt, muss alles möglichst echt wirken. Bei unseren Castings überlassen wir deswegen nichts dem Zufall. Kommen Sie!“
Wenig später dürfen wir dem strengen Kolkmeyer bei der Auswahl seiner Stars über die Schulter sehen. Dass die fünfzehn Bewerberinnen und Bewerber zum Nachweis ihrer Eignung erst mal nur gegen eine zentimeterdicke Plexiglasscheibe röcheln müssen, ist für uns eine Beruhigung. Derweil entlarvt Kolkmeyer unter den Akteuren einen Hochstapler mit leichtem Raucherhusten. Der gänzlich unansteckende Dauerquarzer wird nach Hause geschickt. Für die übrigen Kandidaten gibt es in der akuten Phase ihrer Erkrankung viel zu tun.
Nach einem Abstecher ins riesige Nasencreme-Lager begeben wir uns mit Kolkmeyer mitten in die aufwendigen Kulissen. „Hier verbinden wir die heilsame Wirkung unserer Werke mit echter Prime-Time-Unterhaltung. Ob Krimi, Komödie oder Drama – für den gesundheitsbewussten Filmfan bieten wir großes Kino mit herrlich verrotzten Schauspielern. Da drüben wird übrigens gerade an unserer James-Bond-Adaption mit dem Titel ‚Man niest nur einmal‘ gefeilt.“
Vor dem Greenscreen können wir einen Anzugträger erkennen, der sich mit tiefrotem Riechkolben am bunten Drahtgeflecht eines Nuklearzünders zu schaffen macht. Wie der Filmdirektor uns erzählt, sei es eine echte Herausforderung, die Schauspieler beim Dreh konstant verschnupft zu halten. „Bei der Neuansteckung mit frischen Keimen setzen wir auf Vernunft und Eigenverantwortung. Deshalb haben unsere Mimen sich auch vertraglich dazu verpflichtet, den überwiegenden Teil ihrer freien Tage in rappelvollen Arztpraxen zu verbringen. Gesundheit!“
Es ist früher Abend, und Kolkmeyer möchte uns das Studio seines Talk-Show-Formats „Krank, aber fair“ zeigen. Wer aus dem Berliner Politbetrieb eingeladen ist, findet der Filmschaffende nicht so wichtig. „Hauptsache, die Nebenhöhlen sind verstopft und unsere Gäste hat es so richtig erwischt. Weil er ungefragt mit Präventionstipps um sich werfen darf, übernimmt Karl Lauterbach die Moderation übrigens kostenlos in seiner Freizeit.“
Wir staunen nicht schlecht. Der Noch-Gesundheitsminister ist bereits zwei Stunden vor Aufnahmebeginn am Set und hat vorsorglich schon mal den Luftbefeuchter angeworfen. Sein Angebot, uns bei der Gelegenheit mal eben etwas Blut abzunehmen, lehnen wir aber dankend ab. Lieber folgen wir Kolkmeyer in die benachbarte Multifunktionshalle. „Die ist für ein mutiges Live-Publikum reserviert, das die erste Phase seiner Grundimmunisierung bereits abgeschlossen hat. In ein paar Stunden findet hier zur finalen Abhärtung ein Fieberwahn-Improvisationsfestival statt. Sie sind natürlich herzlich eingeladen!“
Nachdem wir Rhinomed-Chef Kolkmeyer stundenlang durch seine Bazillen-Bruthöhle gefolgt sind, fühlen wir uns mit einem Mal selbst krank und abgeschlagen. Für den Profi ist unser beginnendes Halskratzen ein Geschenk des Himmels. „Aus der ‚Love Island‘-Besetzung haben sich gerade zwei Darsteller gesund gemeldet“, hält uns der begeisterte Kolkmeyer je ein Feigenblatt vor die Nase. „Wenn Sie sich jetzt umziehen, sind Sie in fünf Minuten dabei!“
Wir nehmen die Adamskostüme zwar entgegen, schleichen uns aber statt in die eiskalte Umkleide lieber zurück zu Karl Lauterbach. Hoffentlich ist es für eine schamanische Intensivbehandlung beim Wunderdoktor der untergegangenen Ampel noch nicht zu spät. Hatschi!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen