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: Urteil im Salamitakt

Chodorkowski-Verfahren: Richterin unterbricht Lesung der 1.000-seitigen Begründung nach etwa 80 Seiten

MOSKAU dpa ■ Nach der erneuten Vertagung der Urteilsverkündung gegen den früheren russischen Ölmagnaten Michail Chodorkowski haben die Verteidiger dem Gericht Verzögerungstaktik vorgeworfen. „Das ist kein Gerichtsprozess, sondern eine Abrechnung“, sagte Anwalt Juri Schmidt gestern in Moskau. Die leitende Richterin, Irina Kolesnikowa, hatte am frühen Nachmittag die Urteilsverkündung erneut nach nur knapp drei Stunden Lesung unterbrochen und auf heute vertagt. Prozessbeobachtern zufolge sind erst 80 von etwa 1.000 Seiten Urteil verlesen worden. Das Verfahren gilt als Kreml-gesteuert.

In Moskau wurde vermutet, das Gericht verzögere die Verkündung des Strafmaßes, um die Proteste gegen das Verfahren abebben zu lassen und das Interesse der Medien zu schwächen. Die Anklage fordert zehn Jahre Haft für den Gründer des Ölkonzerns Yukos und seinen Geschäftspartner Platon Lebedjew. Ihnen werden Betrug, Steuerhinterziehung und Urkundenfälschung zur Last gelegt. Die Richterin stütze sich bei ihrer Argumentation nur auf die Unterlagen der Anklage, rügten die Verteidiger.

Das Strafmaß wird nach russischem Prozessrecht erst nach der Urteilsbegründung verkündet. Damit ist nach Einschätzung von Beobachtern kaum mehr vor nächster Woche zu rechnen.

Bereits zu Wochenbeginn hatte die Richterin im Grundsatz die Schuld der seit mehr als anderthalb Jahren in U-Haft sitzenden Geschäftsleute bestätigt. Die beiden Häftlinge haben im Verlauf des Verfahrens immer wieder ihre Unschuld beteuert. Ein dritter Mitangeklagter, Andrei Krainow, ist zum Teil geständig und soll zu fünfeinhalb Jahren Knast auf Bewährung verurteilt werden.