: Schlafwandler im Ascheregen
Mal Gegenentwurf mit jungen ArtistInnen, mal opulente Melancholie im Astronautenkostüm: Zwei konträre Inszenierungen von Elfriede Jelineks „Asche“ in Hamburg und Hannover
Von Jens Fischer
Die Wutenergie der Verzweiflung braucht ein Ventil. Elfriede Jelinek bringt sie mit Satz- und Assoziationsketten ins Fließen, feiert die mäandernde Form des suadischen Denkens und versucht den Schmerz abzufedern mit ironischen Sprachvolten und zynischen Zuspitzungen. In ihrem „Asche“ betitelten Text gönnt die Literaturnobelpreisträgerin den Leser:innen weniger bitterböse Heiterkeit als üblich, dafür resignierendes Empören. Sie collagiert nach fast 50 Ehejahren ihre Trauer über den Tod des Lebenspartners mit der Angst vor der menschengemachten Zerstörung der Welt. Konstatiert eine Zeit des Abschiednehmens.
Der widmen sich nun zwei Theaterregisseurinnen sehr unterschiedlich. Jette Steckel holt am Hamburger Thalia Theater mal wieder Jugendliche auf die Bühne und lässt sie eine Gegenthese zur Vorlage erspielen. Und Lilja Rupprecht bringt Jelineks Klagegesang am Schauspiel Hannover unwidersprochen in eine opulente Form.
Die Welt ist in Hamburg eine mit Plastikrasen beklebte Drehbühne, die als Rad der Geschichte rotiert, mal beschleunigt, mal langsamer läuft oder auch innehält. In diesem Welt-Raum scheint alles tot – bis auf vier Sprecherinnen. Die wirken in historisierend anmutenden Kostümen wie Relikte unterschiedlicher Geschichtsepochen. Verlorene Seelen, „armselige Häufchen Mensch“, händchenhaltend. Ein waffenähnliches Requisit verwandelt das Quartett in ein Kreuz und verankert es im Bühnenzentrum als zu umwandernden Mittelpunkt. So schlendern die famos Schauspielenden gegen die Rotationsrichtung der Bühnenscheibe, gehen endlos geradeaus und kommen nie voran.
Ebenso ergeht es ihnen beim gedanklichen Umkreisen des Kreuzsymbols und den Debatten um Gott, Schicksal, Schuld usw. Zur Entspannung singspielen alle mit Gustav Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“, die Jelinek zitiert und nun in zartdichter Live-Musik-Untermalung des Multiinstrumentalisten Matthias Jakisic zu erleben sind.
Nächste Vorstellungen: Schauspiel Hannover: 11.+20.2., Thalia Hamburg: 18. 2.+ 1. 3.
Geweint wird über die toten Augen des Liebsten, „heute geschlossen, morgen auch und immer geschlossen, wegen Geschäftsaufgabe“, und eine nun machtvolle Einsamkeit bei zunehmendem Weltverlust. Geschrien wird angesichts Erkenntnissen über das Sein und Nicht-mehr-Sein. Somnambul getanzt wird im Ascheregen. Da können Jelineks sarkastische Bonmots nicht mehr über die Sinnlosigkeit des Todes hinwegtrösten.
Sehr wohl aber die „Jungs & Deerns“ vom Altonaer Zirkusprojekt Zartinka, die der Wort- ihre Körperakrobatik hinzugesellen. Dabei nimmt Steckel gern Textpassagen wörtlich. Beschreibt Jelinek die Erde als Würfel, beturnen die Artisten zu einem Würfel verschweißte Reckstangen. Später auch ein kreuzförmiges Turngerät. Sie hantieren mit Lichtreifen. Balancieren auf einem Ball. Jonglieren mit Leuchtkugeln. Sind mit ihren wildschönmutigen Darbietungen die Hoffnungs-, die Zukunftsträger der Inszenierung. Ein Abend, der sich erhellend über die Vorlage und damit die Zuschauerseelen erhebt. Eindrücklich optimistisch.
Lilja Rupprechts Inszenierung in Hannover indes huldigt der existenziellen Melancholie. Sie findet Orte für die Worte Jelineks. In üppiger Breite fläzt sich ein schäbiges, seit bestimmt 50 Jahren nicht mehr renoviertes Hotelfoyer auf die Bühne. Das fünfköpfige Ensemble spielt in Diener-Livree die letzten Bewohner:innen.
Jelineks Selbstgespräch bereiten sie nicht wie in Hamburg dialogisch auf, sondern jede:r monologisiert die ihm zugeteilten Textpassagen. Eine Frau beginnt zu reden über „mein lieber Toter“, den sie nicht loslassen könne. Eine Urne wird gebracht, die Asche wie Tee aufgebrüht und eine Träne weggedrückt bei der Aussage, jeder sterbe nur für sich allein. Hinzu gesellt sich die Betrachtung des eigenen körperlichen Zerfalls. Die Spielenden suchen Halt, Haltung – und finden sie zumindest im Rhythmus der Artikulation. Mal befeuert, mal besänftigt von Schlagzeuger Fabian Ristau.
Die Idee, das Leben nochmal auf Anfang zu stellen, in neue Welten aufzubrechen, war bei der Hamburger Inszenierung nur ein Gedanke. In Hannover zieht sich das Ensemble Astronautenanzüge an und beschwört per Video den Kosmos – kommt aber wie die Kolleg:innen am Thalia nicht vom Fleck. Für Attacken gegen die höheren Mächte versammelt sich Rupprechts Quintett in einer Minikirche.
Am Ende hockt es in Unterwäsche wie Überlebende des Ökokollapses in einer Höhle mit geretteten Grünpflanzen. Das Wortgestöber ist formvollendet zum Stationendrama strukturiert: Erst Vorstellung der Endzeit-Situation, dann gescheiterte Flucht, vergebliche Anklagen, Abgesang. „Und abends, wenn wir schlafen gehn, was machen wir dann? An unser Leid denken. Sonst nichts.“ So endet Jelineks Text. So endet die Hannoversche Inszenierung. Eindrücklich pessimistisch.
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