: Leider nicht so geil
EUROTRASH Einst waren die Hamburger Deichkind mit grell-ironischer Übertreibung von Klischees Hip-Hopper zweiter Ordnung. Heute gibt es auf „Befehl von ganz unten“ stattdessen juvenilen Techno-Hedonismus, der Kritik mit hohlem Zynismus verwechselt
VON MICHAEL SAAGER
Wer „Remmidemmi“ macht, hat mehr Spaß am Leben. Oder: Egotronic aus Berlin können da ein amphetamingetränktes Feier-Techno-Brett für Deutschlands Antifa-Jugend draus schnitzen. Deichkinds Fans sind nicht viel älter, aber wohl häufiger aus Hamburg. Dort kommt schließlich auch ihre Lieblingsgruppe her. Die mit der Bierdusche und den hübschen Müllsack-Kostümen.
Seit „Befehl von ganz unten“ erschienen ist, liest man es doch tatsächlich wieder überall: „das neue Album der Hip-Hop-Gruppe Deichkind“. Na, kann schon mal passieren, dass man von Musik, die man nie im Leben gehört hat, keine Ahnung hat. Richtig ist, dass Deichkind im Jahr 1999 von Malte (Malte Pittner) und Kryptik Joe (Philipp Grütering) als Rap-Gruppe gegründet wurden. Statt „Realness“ zu inszenieren, was bei vielen deutschsprachigen Hip-Hop-Formationen verkrampft, aufgesetzt oder affig rüberkam, parodierten Deichkind allzu geläufige Hip-Hop-Klischees wie Sexismus oder die zur Schau gestellte Maskulinität der heterosexuellen Hip-Hop-Protagonisten. Deichkind waren Hip-Hop grell-ironischer Übertreibung, Hip-Hopper zweiter Ordnung.
Aber dann war er halt irgendwann mausetot, zumindest der deutschsprachige Hip-Hop, bevor der Aggro-Scheißdreck aus Berlin um Sido, Bushido und Frauenarzt ihm neues Leben mit besonders fragwürdigen inhaltlichen Vorzeichen einzuhauchen wusste. Neue musikalische Ideen mussten her. Und so bollert er auf Deichkinds Album „Aufstand im Schlaraffenland“ von 2006 erstmals gewaltig los – der Ibiza-Sound juvenilen Techno-Hedonismus‘. In den Texten wird angestoßen auf Alkohol und illegale Raves. Das Sound- und Feiergerüst steht. Fehlt noch was? Vielleicht eine Prise politisches Bewusstsein in Form von Gesellschaftskritik? Dann mal los.
Auf „Befehl von ganz unten“ setzen Deichkind abermals auf fett gezogene Bassbeats, Euro-Dance-Fanfarensounds aus dem Media-Markt und einen Sprechgesang, der, was seinen technischen Schwierigkeitsgrad anbelangt, Kindergartenknirpse zu echten Rappern machen würde – wenn’s denn Rap wäre.
Alles Parodie? Möglicherweise. Es ist jedenfalls Musik, die man zu Hause nicht hören muss, die nach draußen gehört, ebenso wie der sehr regelmäßig zu Mitgröhl-Parolen verdichtete Sprechgesang. Anders gesagt, haben sich Deichkind seit dem Ausscheiden von Malte und Buddy Inflagranti, seit dem Tod von Sebastian „Sebi“ Hackert musikalisch nicht einen Meter bewegt. Dieser Bart ist schon mal ab.
Und textlich so? Gehen Deichkind gern den einfachsten Weg der Kritik. Den unreflektiert-anarcho-punkigen, der sich im Song „Illegale Fans“ selbstverständlich auf die Seite der illegalen Raubkopierer schlägt, was nicht mal unsympathisch ist, aber den Goldenen Zitronen im Traum nicht einfallen würde, da die Diskussion und ihre Implikationen eben doch ein bisschen komplizierter sind. Das Stück „Leider geil“ suhlt sich, Sprüche klopfend, in dem simplen taktischen Manöver, definitiv fragwürdige Sachverhalte durch eine „Alter, so ist es halt“-Haltung schönzureden. Zumindest lässt sich der Text so lesen. „Kleine Kinderhände nähen schöne Schuhe / Meine neuen Sneakers sind: leider geil.“
Leider nicht so geil, eher ein bisschen dämlich: die Verwechslung von Kritik mit hohlem Zynismus.
■ Braunschweig: Mi, 28. 3., VW Halle, Europaplatz 1; Hamburg: Do, 29. 3., 20 Uhr, O2 World, Sylvesterallee 10