: „Die Menschen haben den Austausch gesucht“
Der Bürgermeister Ryyan Alshebl erzählt vom Haustürwahlkampf in Ostelsheim, von überraschenden Begegnungen bei seiner Ankunft aus Syrien und von dem unerwarteten Sturz des Assad-Regimes
Interview Wilma Johannssen
taz: Herr Alshebl, was läuft momentan gut, wie können wir weitermachen?
Ryyan Alshebl: Wir versuchen gerade, in Ostelsheim ein Windparkprojekt zu realisieren. Deutschland ist da auf einem sehr guten Weg. Wir haben jetzt sogar die 60-Prozent-Marke erneuerbarer Energien in der Gesamtstromerzeugung geknackt. Und damit möchte ich in meiner Kommunalpolitik weitermachen.
taz: Warum wollten Sie Bürgermeister von Ostelsheim werden?
Alshebl: Ich bin von Haus aus ein politisch interessierter Mensch, und als ich aus Syrien nach Deutschland gekommen bin, habe ich festgestellt, wenn man hier etwas in der Politik machen möchte, ist der Weg frei. Man kann sich einbringen. 2017, zwei Jahre nach meiner Ankunft in Deutschland, bin ich bei den Grünen eingetreten.
taz: Wie war es, in Baden-Württemberg in einer kleinen Gemeinde anzukommen?
Alshebl: Die Frage ist, wie sieht die mögliche Ablehnung aus. Spiegelt sie sich wider in Form von Gewalt, Hass und Hetze, oder in Form von Skepsis und Dialogbedarf? Meine Erfahrung ist eher das Zweite.
taz: Haben Sie nach Ihrer Ankunft vielleicht auch selbst einen Kulturschock gehabt?
Alshebl: Ich kam mit 21 hier an. Klar, erlebt man Kulturschocks am Anfang jeden Tag.
taz: Gibt es Situationen, über die sie noch lachen können oder die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?
Alshebl: Ja. Als wir hier angekommen sind, gab es ein sehr nettes Ehepaar, das uns unterstützt hat. Einmal haben sie meinen Kumpel und mich zu sich nach Hause zum Essen eingeladen und dann kam ihr Hund in den Raum, in dem wir saßen. Er wurde von der Gastgeberin vorgestellt: er sei auch ein Flüchtling wie wir. Mit einem Hund verglichen zu werden, das ist für jemanden, der aus dem arabischen Kulturkreis kommt, die tiefste Beleidigung. Da mussten wir schon zweimal schlucken. Aber das ist normal hier.
taz: Auf welche Resonanz sind Sie hier mit Ihrer Kandidatur gestoßen?
Alshebl: Die Leute hier sind sehr bedacht. Sie zeigen sich nicht abgeneigt gegenüber jemandem, der aus Syrien kommt und Bürgermeister werden will. Meiner Erfahrung nach ist es ein Irrglaube zu denken, eine konservative Gemeinde akzeptiere meine Kandidatur als Bürgermeister nicht. Außerdem ist die Debattenkultur hier eine sachliche. Die sozialen Fragen, die eher Metropolen betreffen, in denen es sehr arme und reiche Stadtviertel gibt und Menschen teils unter prekären sozialen Umständen leiden, spielen hier keine Rolle. Den Menschen geht es hier weitgehend gut. Es ist harmonisch. Es findet keine politische Polarisierung statt.
taz: Sie haben Haustürwahlkampf betrieben. Wurden Sie tatsächlich an den Küchentisch geholt, um sich mit den Leuten zu unterhalten?
Alshebl: Zum Teil ja. Ich habe im Mittagsblatt angeboten, mich bei Redebedarf zu sich nach Hause einzuladen. Meistens haben wir dann Kaffee getrunken. Die Menschen waren offen und haben den Austausch gesucht.
taz: Dadurch haben Sie Ostelsheim besser kennengelernt?
Alshebl: Genau, und auch ein Stück weit die Menschen dort.
geboren 1994 in der Stadt Alswaida im Süden Syriens, wurde 2024 zum hauptamtlichen Bürgermeister in einer Gemeinde mit 2600 Einwohnern im Landkreis Calw gewählt.
taz: Wie haben Sie auf den Sturz Assads reagiert?
Alshebl: Für mich, für meine Generation und sogar für die meiner Eltern war es nicht vorstellbar, dass dieses Regime überhaupt stürzbar ist. Mein Vater, der 1955 geboren ist, war 15 Jahre alt, als der Vater von Assad die Macht übernahm. Seitdem regiert dieses Regime und es hat sich ja auch mehrmals retten können. Der Sturz des Regimes hat mich zutiefst beeindruckt. Ich habe geweint und ich habe es nicht fassen können, dass es Wirklichkeit ist. Da passiert etwas, das man nicht wirklich einordnen kann.
taz: Wie könnte ein Wiederaufbau aussehen und welche Rolle können Sie dabei spielen?
Alshebl: Die Themen neuer Staat, Wiederaufbau und Entwicklungshilfe in Syrien werden mich natürlich persönlich beschäftigen. Und die Frage wie ich als deutscher Kommunalpolitiker den Menschen dort konkret helfen kann. Ich habe ein Netzwerk gegründet, das in den nächsten Tagen online gehen sollte. Wir sind Bestandteil eines bereits bestehenden Vereins namens Netzwerk Globale Brücke. Hauptsächlich Syrer, Deutsch-Syrer und Deutsche, die sich zusammenschließen, um Projekte im Bereich der Übergangshilfe und des Wiederaufbaus in Syrien zu realisieren. Gerade arbeiten wir an einem Krankenhaus in Syrien, das etwa 120.000 Menschen versorgt, um es wiederzubeleben. Das ist eine Mordsaufgabe.
Mehr dazu erzählt Ryyan Alshebl auf dem taz lab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen