: Tote in den Weinbergen
Die ARD-Serie „Spuren“ erzählt von Polizeiarbeit, wie sie wirklich ist: mühsam. Das ist dennoch spannend – was besonders am tollen Cast liegt
Von Rebecca Spilker
Deutschland ist ja Fernsehkrimiland. Selbst ausgehfreudige Zwanzigjährige aus Neukölln machen es sich sonntags ab 20.15 Uhr vor der Glotze gemütlich. Das wohlige Gefühl, das Kommissar:innen vermitteln, wenn sie Gutes von Bösem, Quatsch-Fährte von unerwarteten Nebenspuren scheiden, will sich kaum jemand nehmen lassen. Es geht doch meist um die letzten arbeitsfreien Stunden vor dem Wochenbeginn. Die gilt es auszukosten.
Ja, es stimmt, seit einigen Jahren ist man weggekommen von Derrick-artigen Typen im Trench, die ohne die Miene zu verziehen durch Geistesblitze und ruhige Cognac-Gespräche mit den Verdächtigen zuverlässig Verbrechen aufklären. Doch die wahre, kleinteilige Polizeiarbeit wird selten thematisiert. Zu mühsam, zu büro-öde käme sie daher, filmte man sie 1:1 ab. So dachte man bis jetzt.
Die ARD-Miniserie „Spuren“ ist konzeptionell anders aufgebaut als alles, was man bisher aus dem Genre kannte. Zum Glück. Ohne zu langweilen, werden die Zuschauer:innen hier zu Beobachter:innen authentischer Polizeiarbeit. Das Detail, die Frickelarbeit, wird in den Vordergrund geschoben. Angelehnt an zwei reale Kriminalfälle von 2016 in Südbaden, wird, zusätzlich zur gezeigten Ermittlungsarbeit, ein Sittenbild dörflichen Zusammenhalts gemalt.
Zeugenvernehmungen werden stets im Zusammenhang mit familiären und freundschaftlichen Verbindungen gezeigt. Jeder kennt hier jeden. Da zwei junge Frauen vermisst werden, gerät das Zusammenleben in der Provinz in Schieflage. Morde? Hier bei uns? Es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Im Mittelpunkt der Handlung stehen, neben allerhand provinziellem Personal, die Kriminaloberrätin Barbara Kramer (Nina Kunzendorf) und der ihr zur Seite gestellte Kollege Thomas Riedle (Tilman Strauß). Sie stammt ursprünglich aus der Gegend, hat lange in der Großstadt gearbeitet, kam zurück und unterstützt nun ihren Vater beim Verkauf des Elternhauses. Dieses Setting erinnert an die komödiantische Krimiserie „Mord mit Aussicht“, geht aber völlig unalbern mit der Situation um.
Auf Nebenspuren wird miterzählt, wie sich die ruhige, hochkonzentrierte Kramer gegen misogyne Vorurteile und Ressentiments in- und außerhalb ihre Teams wehrt, zugleich aber ihre berufliche Position nicht gegen Mitarbeiter:innen ausspielt. Fast scheint es, als habe sie, augenrollend natürlich, sogar Verständnis für so manche Hinterwäldlerei. Souverän und fokussiert macht sie ihre Arbeit und schafft es, durch die Einrichtung einer Soko Licht ins Dunkel zu bringen.
Ihr Team setzt sich aus unterschiedlichen Charakteren zusammen. Sie ziehen allerdings alle an einem Strang. Es ist aufregend, dabei zuzusehen, wie mühsam jede Spur abgearbeitet wird.
Stets unter Druck, weil eine Soko nur auf einen bestimmten Zeitraum ausgelegt ist, tappen die Beamte:innen teils im Dunkeln, kämpfen mit Rassismus und Datenabgleich, mit falschen Fährten und maulfaulen Dorfbewohner:innen.
Regisseur Stefan Krohmer und die Drehbuchautor:innen Robert Hummel und Martina Mouchot zeichnen Kramer und Riedl als emphatisch und respektvoll. Man glaubt den Figuren alles. Das ist das Herausragende dieser Serie. Die Dialoge haken an keiner Stelle, alles wird von den Schauspieler:innen locker und unverkrampft durchgespielt.
Die großartige Nina Kunzendorf zieht wieder mal alle Register ihres Könnens. Zurückhaltend agierend, hat sie, in durabler Kleidung und ungeschminkt, die Zügel in der Hand. Man ahnt, dass auch sie ein Päckchen mit sich herumschleppt, aber das wird nie plump dialogisiert, sondern lediglich durch Körpersprache und Mimik angedeutet. Kunzendorf zeigt sich in dieser Serie auf dem Gipfel ihres Könnens.
Und Tilman Strauß. Mein Gott, Tilman Strauß! In der Rolle des Sidekicks Riedl brilliert er, obwohl seine Rolle charakterlich nicht so viel hergibt. Er ist so überzeugend, dass man es manchmal nicht fassen kann.
Hach, endlich mal wieder eine tolle Serie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, an der alles begeistert. Story, Schauspieler:innen, Set-Design, Regie. Unbedingte Empfehlung!
„Spuren“: ab sofort in der ARD-Mediathek, am 15. 2. im TV, 20.15 Uhr
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