: berliner szenen Trinken und Sinken (8)
Das Geständnis
Der Irrglaube hält sich hartnäckig: Wer besoffen ist, fährt am besten mit dem Taxi. „Mit dem Taxi sicher nach Hause“ wirbt sogar die Taxiinnung auf unverantwortliche Weise, und irgendwie muss ich wohl drauf reingefallen sein, obwohl ich es besser hätte wissen müssen. An dieser Stelle gebe ich es zu: Ja, ich habe es selber jahrelang gemacht, doch das ist verjährt.
Morgens nach der Schicht traf ich mich regelmäßig mit den Kollegen. Entweder im guten alten „Anfall“ (Gott sei seiner Seele gnädig!) oder im bösen alten „Niagara“ (der Teufel hole ihm einen runter!). Dort tranken wir. Und kifften. Von drei oder vier Uhr morgens bis sechs oder sieben. Manchmal wurde es auch zehn, elf oder mit Umweg über den Flughafensee und eine weitere Schicht gar der übernächste Tag. Speed verleiht Flügel. Wir waren jung und versuchten, so schnell wie möglich alt zu werden.
Vor der Kneipe stiegen wir dann direkt ins Taxi und brummten irgendwie nach Hause. Am nächsten Nachmittag fand ich den Wagen oft erst nach langem Suchen wieder – nicht selten half ein Anruf bei der Polizei. Einmal bemerkte ich beim Losfahren eine halbe Taube auf der Kühlerhaube und konnte mich absolut nicht daran erinnern, wann und vor allem warum ich sie dort abgelegt hatte. Zum Glück fiel sie während der folgenden Schicht bald runter. Nach der ging es wieder von vorne los: „Après Schicht“ in den erwähnten Feierabendlokalen – ins „Mistral“ kam ich dagegen nur selten mit, weil ich jeden Kurzbesuch dort mit tagelangen Depressionen bezahlte.
Nachdem sich ein Kollege mit seinem Taxi voll stramm auf der vereisten Kolonnenbrücke überschlagen hatte, war für mich Schluss mit dem Unsinn. Ich wollte meinen P-Schein nicht riskieren. ULI HANNEMANN