piwik no script img

Archiv-Artikel

Im Abschiebe-Niemandsland

AUSLÄNDER Wohin mit jemand, der aus der Abschiebehaft entlassen wird und in Bremen niemand kennt? Eine Lösung gibt es, doch die ist offenbar nur wenigen bekannt, ärgert sich eine Asyl-Anwältin

Von EIB
Die Alternative: Eine zusätzliche Nacht im Abschiebeknast – wenn auch bei geöffneter Zellentür

Ein Salamibrot, eine Tüte mit H-Milch, ein angebrochenes Glas Marmelade – mit diesen Habseligkeiten stand der Mann aus Montenegro am Dienstagabend vor der Justizvollzugsanstalt in Oslebshausen. Dort hatte er in der Krankenstation auf seine für den nächsten Tag geplante Abschiebung gewartet. Die fiel aus: Wegen seiner Diabetes hatte eine Rechtsanwältin einen vorläufigen Abschiebestopp erreichen können.

Doch damit begannen für ihn ganz neue Probleme: Wohin soll jemand, der aus der Abschiebehaft entlassen werden muss, Bremen nicht verlassen darf und hier niemand hat, zu dem er oder sie zurückkehren kann? Wenn das Asylbewerberheim nicht der richtige Platz ist, weil dort nur diejenigen leben sollen, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist?

Eine knifflige Frage, die in Bremen offenbar nur wenige Eingeweihte beantworten können. Der JVA jedenfalls fiel nichts anderes ein, als die Anwältin des abgelehnten Asylbewerbers anzurufen. Die nahm ihn dann mit zu sich nach Hause. Die Alternative für ihren Mandanten wäre eine weitere Nacht in Haft gewesen – wenn auch bei geöffneter Zellentür.

Anwältin Christine Graebsch ärgert sich. „Das ist nicht das erste Mal, das so etwas passiert.“ Die Ausländerbehörde halte sich nicht für zuständig, mit der Folge, dass die Leute mittellos auf der Straße stünden. In zwei von drei ihr bekannten Fällen seien die Menschen traumatisiert gewesen, einer davon zudem drogenabhängig, erzählt Graebsch.

In diesem jüngsten Fall ließ sie den Mann bei sich übernachten, weil sie erst am nächsten Tag Zeit hatte, sich um Weiteres zu kümmern. Dabei erfuhr sie nach einigen Telefonaten schließlich, dass es tatsächlich eine Lösung für das Problem gibt.

Eigentlich soll nämlich die Obdachlosenunterkunft der Inneren Mission die Leute aufnehmen, zumindest für die erste Nacht. Danach soll ihnen bei der Unterkunftssuche geholfen werden, wie anderen Wohnungslosen auch. Dies bestätigt die Sprecherin der Sozialsenatorin, Petra Kodré. „Sobald er in einer ‚unserer‘ Einrichtungen auftaucht, sind wir zuständig“, sagt sie, „vorher wissen wir ja gar nicht, dass es ihn gibt.“

Länger dauert es, beim Innensenator – Dienstherr des Ausländeramts – eine Auskunft darüber zu bekommen, wie in solchen Fällen zu verfahren sei. Schließlich verweist man auch dort auf das Jakobushaus der Inneren Mission.

Das sei selbstverständlich auch im Polizeigewahrsam – wo gesunde Abschiebehäftlinge untergebracht sind – bekannt, sagt Rainer Gausepohl, Sprecher des Innensenators. „Die Polizei fährt die Betroffenen dort sogar manchmal hin oder gibt ihnen eine Fahrkarte.“ Warum die JVA, die kranke Abschiebehäftlinge aufnimmt, diese Information nicht bekam oder nicht weitergab, könne er nicht erklären.

Anwältin Graebsch wundert sich über die Auskunft. „Ich habe vom Jakobushaus in 15 Jahren nichts gehört“, sagt sie, auch nicht von Mitarbeitern des Polizeigewahrsams. „Das kann doch nicht angehen, dass man erst stundenlang in der Stadt herumtelefonieren muss. Wenn schon wir das nicht herausbekommen, wie sollen es dann Leute ohne Deutsch- und Ortskenntnisse schaffen?“

Ihr Übernachtungsgast liegt jetzt erst einmal wieder im Krankenhaus, wo Anfang August seine Diabetes festgestellt wurde. Zwei Tage hatte die Ausländerbehörde dem 1962 Geborenen gegeben, um den Umgang mit seiner Krankheit zu lernen, dann hätte er das Land verlassen sollen. Das wäre selbst für jemand mit Deutschkenntnissen zu wenig Zeit gewesen, fand das Verwaltungsgericht.

Bis zum 31. August darf der Mann von der Volksgruppe der Roma nun vorerst in Deutschland bleiben. Wer die Diabetes-Schulung bezahlt, ist noch nicht geklärt.

Seine Anwältin versucht weiter, die Abschiebung zu verhindern, weil die medizinische Versorgung von Zuckerkranken hier besser ist. Und sie hofft, dass jetzt niemand mehr in das Loch fällt, das sich auftut, wenn die Innenbehörde nicht mehr und das Sozialamt noch nicht verantwortlich ist. EIB