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Altern im Allzeitglück der Fürsorge

Der Wahrheit-Randgruppenreport: Was passiert, wenn Gnadenhöfe nicht mehr können? Sie kommen auf den Gnadenhof für Gnadenhöfe

Die gnadenreichen Svea und Beate reiten auf ihrem humanitären Altersanwesen in den südwestpfälzischen Sonnenuntergang Foto: ap

Von Ernst Jordan

Brauchen auch Zuhause ein Zuhause? In der südwestpfälzischen Gemeinde Waldfischbach-Burgalben am Südrand des Pfälzerwaldes beantwortet das Ehepaar Svea und Bea­te Mommsen diese Frage mit einem eindeutigen: „Ja“. Auf ihrem weitläufigen, mit etlichen Bungalows, Häusern, Höfen und Gehegen gesprenkelten Grundstück kümmern sie sich auf­opfernd um halterlose Tierwohleinrichtungen.

„Oaahh, die Erdmännchen!“ oder „Hier, gib dem Elefanten mal von deiner Banane, guckt grad keiner!“, ruft Svea in Richtung der Gehege des erst vor wenigen Monaten hier anonym abgegebenen Tierparks. Das Nachbarskind auf ihren Schultern, das gern zum Spielen vorbeikommt, weil seine Eltern ihm keinen eigenen Gnadenhof erlauben, macht begeistert mit. Die Freude der beiden lässt beinahe vergessen, dass hinter den blind gewordenen Scheiben und rostigen Gittern des Tierparks schon lange keine Tiere mehr leben. Auf Sveas und Beates Gnadenhof „Burgfrieden“ bekommt er sein Gnadenbrot.

Diesen Gnadenhof für Gnadenhöfe betreiben die in der DDR geborenen Frauen noch nicht lange. Früher boten sie Bitcoins in ihren Wallets ein sicheres Zuhause, als – abgesehen von Drogendealern – niemand die Digitalwährung haben wollte. Sobald der Bitcoin für sich selbst sorgen konnte, verkauften sie alles. Ihre Liebe zu Geschöpfen, die niemand mehr liebt, blieb. Angeregt durch eine gemeinsame Reise, auf der sie gut versorgt mit Hawaii-Toast und Soleiern alle noch bestehenden Galeria-Kaufhof-Filialen besuchten, entschlossen sie sich, nicht mehr gewollte Gnadenhöfe zu retten.

„Tja, und das war letzten Monat genau sieben Jahre her“, führt Beate sichtlich bewegt aus. Und weil die beiden nur schwer Nein sagen können, gibt Sveas und Beates Hof mittlerweile drei Gnadenhöfen, zwei Tierheimen, vier Tierhorter-Wohnungen, sieben Wildtier-Auffangstationen, zwei Tierparks und einem Zoo und sogar einer Heuler-Station eine zweite Chance. Nur einem serbischen Naturschutzgebiet, das dem Lithium-Abbau weichen musste, haben sie schweren Herzens abgesagt. Es fehlte einfach der Platz.

Emotional werden die beiden bei ihrer Arbeit allerdings nur noch selten. Es gibt einfach zu viel zu tun, um lange über die Schicksale der verlassenen Auffangstationen zu trauern. „Aber wenn ich die Schwimmbecken der Heuler-Station schrubbe und mit einem glücklichen Schwappen belohnt werde oder alte Joghurtbecher in meinen mittlerweile handzahmen Tierhorter-Wohnungen verteile, muss ich doch manchmal schlucken“, gesteht Beate. Ob zugemüllte Wohnungen, tetanustriefende Gehege oder karge Ausläufe – das alles sei mal das Wichtigste im Leben eines Menschen gewesen. Dann redet Bea­te sich in Rage.

„Bei ausgesetzten Tieren, da überschlagen sich alle mit Mitgefühl. Dem letzten Dackel mit Hüftgelenks-Dysplasie wird über Social Media noch eine Spendenaktion organisiert!“ Aber was passiert, wenn Tierheime einfach so zurückgelassen werden, das interessiere niemanden. Tierheime dürften nie Schwäche zeigen. Das sei, erklärt Beate aggressiv, während sie mit einem Besenstiel zornig an den Gitterstäben entlangklackert, in einer Gesellschaft, die Gebäude nur über ihren geldwerten Nutzen definiert, nicht vorgesehen.

„Umso glücklicher sind wir aber“, wirft Svea entschärfend ein, „wenn wir wieder einem Gnadenhof oder einer noch streng nach Katzen riechenden Wohnung Ytong für Ytong ein neues Zuhause geben können.“

Gerade wollen Svea Tränen in die Augen steigen, da stürmt sie plötzlich in Richtung des kleinen Wäldchens am Rand ihres Grundstücks davon. „Nicht schon wieder!“, ruft sie. Als wir sie einholen, ist die Gefahr bereits gebannt. Svea richtet den Zaun, während der uneinsichtig vor sich hin knarzt.

„Dieses Wildgehege kam vor zwei Wochen erst an, hat sich noch nicht an die neue Umgebung gewöhnt. Ist aber auch ein schwieriger Fall …“ Svea deutet die Geste für Alkoholproblem an und macht glucksende Geräusche. „… Wasserschaden, Sie verstehen. Der Besitzer hat sich nach einem Hochwasser doch tatsächlich für den Wiederaufbau seines Hauses entschieden und das Gehege einfach sich selbst überlassen.“

Es gibt einfach zuviel zu tun, um langeüber die Schicksaleder verlassenenAuffangstationenzu trauern

Aber bereits zum vierten Mal habe das Gehege versucht, sich die Eulen-Auffangstation nebenan einzuverleiben, erklärt Svea weiter. Nur mit einem ausgestopften Luchs, den sie gerade unter dem Arm trägt, habe sich das Wildgehege bislang beruhigen lassen. „Dann zäunen wir es jetzt halt ein!“, ruft ihr Beate entschlossen zu. „Das hat es jetzt davon!“

Als wir später gemeinsam in der vor zwei Jahren einfach am Straßenrand freigelassenen Frankfurter Küche zu Abend essen, erkundigen wir uns nach den Zukunftsaussichten der beiden Gnadenreichen. Noch würfen die Einnahmen des Bitcoin-Verkaufs genug Zinsen für Unterhalt und Pflege der vielen Immobilien ab, doch langsam müssten sie über alternative Finanzierungsmodelle nachdenken, erklärt Beate.

Die in einigen Fällen bereits stark verwitterten Gebäude auf ihrem Grundstück wieder mit Tieren zu füllen, das wollen sie den alten Herren und Damen einfach nicht zumuten. Führungen für Studierende der Architektur kämen da schon eher in Frage. Aktuell planen Svea und Beate Mommsen allerdings etwas anderes: Sie wollen eine dem Strukturwandel in der Landwirtschaft zum Opfer gefallene Ferkelzucht zu sich holen. „Für einen Mehrgenera­tionenhof sozusagen.“ Und über der Südwestpfalz geht die sanft strahlende Abendsonne unter.

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