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Archiv-Artikel

Der Berliner Discounter-Club

Hertha will noch eiserner sparen als bisher

VON JOHANNES KOPP

Billig und gut. Leiharbeit ist beim Discounter-Club Hertha in den letzten Jahren zu einem kostengünstigen und erfolgreichen Geschäftsmodell geworden. Mit Fremdarbeitern baute der Verein ein schlagkräftiges Team auf, das auch mit den Markenprodukten der Liga konkurrieren konnte. Aus Serbien und Brasilien etwa borgte man sich Leitfiguren wie Marko Pantelic oder Cicero aus. Erst später wurden sie zu Festangestellten. Gaststürmer Andrej Voronin erreichte diesen Status nie, Denn Hertha will nun noch eiserner sparen als zuvor.

Die Lage droht dadurch völlig unübersichtlich zu werden. Damit Hertha sich überhaupt noch einen Guten leihen kann, beginnt man, großzügig eigenes Personal zu verleihen. Rodnei ist bereits auf Zeit an Kaiserslautern vergeben. Amine Chermiti hat man diese Woche dem saudi-arabischen Meister ausgeborgt. Der belgische Erstligist Charleroi wird sich vermutlich bereit erklären, den Herthaner Bryan Arguez auszuprobieren. Und Lucio, der wegen einer Verletzung fast zwei Jahre nicht gespielt hat, würden die Berliner auch gern noch irgendwem verleihen.

Dass der Brasilianer sich dieser Tage lautstark über die geplante Abschiebung beschwerte und versicherte, nie mehr unter Trainer Lucien Favre spielen zu wollen, löste bei der Clubführung Entsetzen aus. Schließlich soll ja keiner glauben, dass der Verein nur an sich und an profitablen Menschenhandel denken würde. Favre erklärte: „Es ist das Beste für Lucio. In einem Jahr wird er uns dankbar dafür sein.“

Hertha ist eben kein kaltes, gewinnorientiertes Unternehmen, sondern einfach nur eine schrecklich nette Familie. Die von den Oberhäuptern gefällten Entscheidungen sind per se immer für alle gut. Und nach außen muss die Familie stets zusammenhalten. Weil Lucio zum Leidwesen von Hertha all das vergessen hat, wurde er zum Rapport einbestellt. In einer Familie muss man sich auch unterordnen können.

Führungskräfte haben die Institution der Familie schon immer zu schätzen gewusst. Am Freitag hieß der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit „die Familie der Leichtathletik“ in Berlin herzlich willkommen. Die Verantwortlichen wünschen sich eine harmonische Weltmeisterschaft ohne schräge Zwischentöne.