: Anderswo in Kairo
RECYCLING Eine offizielle Müllabfuhr gibt es in Kairo nicht. Die Bewohner im Stadtteil al-Mokattam sind eingesprungen. Der Fotograf Teun Voeten porträtiert einen Ort, in dem Abfall Lebensgrundlage ist
Müll ist bunt. Plastik, Papier, Schrott, Schläuche, Folien, alte Möbel, ja auch Küchenabfälle sind bunt. Auf eine Art, sagt der niederländische Fotojournalist Teun Voeten, sei das Müllviertel in Kairo, al-Mokattam, deshalb ein farbiger Ort. Und der Geruch? „Nicht angenehm“, antwortet er, „aber nicht notwendigerweise schlimmer als anderswo in Kairo.“
Kairo ist ein Schmelztiegel, in dem Archaisches mit Hypermodernem, Askese mit Überfluss, Weltsicht mit Innensicht, Falsches mit Richtigem, Schnelligkeit mit Starre, Armut mit überbordendem Reichtum verschmelzen. Deutlichster Ausdruck der verschmolzenen Widersprüche: der Müll. Den holen sich die Bewohner von al-Mokattam in ihren Kiez, um das Zusammengeworfene erneut in einen neuen Zustand zu transformieren. Denn Garbage City, das koptische Viertel, wo 30.000 Menschen mitten in der Stadt wohnen, ist der Ort, in dem der Abfall wieder geordnet wird. Hier leben die Zabaleen, die Müllmänner. Abfall ist ihre Lebensgrundlage. Überall stapeln sich riesige Säcke mit sortiertem Müll. Manche Straßen wirken wie offener Tagebau, wie offene Höhlen, in denen nach Gold geschürft wird. Eine städtische Müllabfuhr gibt es in Kairo nicht. Trotzdem sollen die Zabaleen nun – gegen ihren Willen – umgesiedelt und das Viertel zu einer Goldgrube für Immobilienspekulanten werden.
Der Fotograf war 2004 das erste Mal in der Müllstadt, die manchmal auch Recycling-Stadt heißt. Er war schockiert. „Die unterste Stufe menschlicher Existenz“, dachte er. Auch die Feindseligkeit, mit der er sich beäugt fühlte, traf ihn. Ein Eindringling – einer mit dem Außenblick.
Den Innenblick bekam er sieben Jahre später, als er von Einheimischen begleitet wurde. Da öffneten sich Türen. Innenhöfe, Schulen. Ausbildungszentren. Recyclingfirmen für Plastik, für Papier, für Metall. Nicht auf hohem technischem, aber improvisatorischem Niveau. Er verstand: In al-Mokattam wird städtische Symbiose gelebt. Die Zabaleen sind wie Vögel, die auf Wasserbüffeln sitzen.
WALTRAUD SCHWAB
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