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Archiv-Artikel

Der Patriot und der Patriot

Ich war einfacher Soldat und hatte Glück, zu überleben

AUS HUNTSVILLE MICHAEL STRECK

Sie müssen laut sprechen, um sich zu verstehen. Sie scherzen über ihre Hörschwäche, Nebenwirkungen von Medikamenten und Gedächtnislücken. Sie reden über Besuche im Krankenhaus bei sterbenden Veteranen und Fronterlebnisse. Dann füllen sich ihre Augen für einen Moment mit Wasser, sie stehen stumm gerührt und sind sich nah. Der Schwenk in die Gegenwart, zu Amerikas Kriegen und George W. Bush, entfremdet sie wieder.

Harold McMillan und Ed Hart stehen auf dem Parkplatz des Veteranenmuseums, einem alten Depot der Nationalgarde, in der Frühlingssonne. Hinter ihnen sind rostige Panzer und Helikopter aufgereiht. Am Eingang hängt ein Schild „Freedom is not for free“. Sie kennen sich flüchtig. McMillan ist 80 Jahre alt, ein Lebemann, Republikaner und Südstaatler. Hart ist 83, ein Grübler, Demokrat und Yankee. Sie kämpften im Zweiten Weltkrieg in Europa und im Pazifik. Sie überlebten die „Hölle auf Erden“, wie sie es beide fast wortgleich beschreiben. Und es verschlug sie danach beide nach Huntsville.

Hier in Alabama arbeiteten sie dann ausgerechnet für den Exnazi Wernher von Braun, den deutschen Raketeningenieur, auf den Hitler zunächst schwor und der dann das amerikanische Raketenprogramm aus der Taufe hob. Die Stadt am Fuße der Appalachen ist heute ein einziges Labor für Militär- und Raumfahrttechnik. Am Flughafen huldigen alle freien Werbeflächen irgendwelchem Kriegsgerät, am Highway Richtung Innenstadt ragt eine Apollo-Rakete in die Höhe, und Fastfood-Läden nennen ihre Menüs schon mal „Rocket Lunch“ oder „GI Breakfast“. Das Militärische wird hier zum Zivilen und umgekehrt.

McMillan bittet darum, allein zu sprechen in der kleinen Museumsbibliothek, während Hart draußen in seinem Wagen einen Mittagsschlaf hält. Er ist scheu, mag keine Zuhörer und Gruppen. Er ist immer noch ein stämmiger Mann mit klaren blauen Augen und fast unsichtbarem Oberlippenbart. Auf seiner roten Jacke leuchtet jene gelbe Schleife, die hier auch an unzähligen Autos klebt: „support our troops“. Er erzählt meist mit geschlossenen Augen. In dem Film, den er dann sieht, sitzt er noch einmal als 18- Jähriger im Schützengraben in Nordafrika, dann in Italien. In der Schlacht um Monte Cassino wurde er verwundet, verlor fast seinen linken Arm. „Ich war ein einfacher Soldat, Kanonenfutter“, sagt er. „Ich hatte einfach verdammtes Glück, zu überleben.“

Nach dem Krieg bezahlte ihm die Armee das Studium. Seine Eltern, Baumwollfarmer aus Mississippi, hätten es ihm nicht finanzieren können. Anschließend heuerte ihn die Nasa-Forschungsabteilung von Brauns an. Rückblickend ist er immer noch fasziniert von der Solidarität und Einheit der Bevölkerung vor, während und nach dem Krieg. Eine Einheit, die, wie er findet, bis heute unerreicht bleibt. Verbittert ist er daher über den Riss angesichts des Irakkriegs.

Für McMillan gibt es keinen Zweifel, dass der Feldzug gegen Bagdad gerechtfertigt war. In Saddam Hussein sah er einen „Junior-Hitler“. Dass Russen, Deutschen und Franzosen sich nicht an der Befreiung des Irak beteiligen wollten, kann er nicht verstehen. Er, der sich als „einst großen Fan der UNO“ bezeichnet, applaudierte Bush, da er der Weltorganisation den nötigen Biss verlieh, um nach all den verstrichenen UN-Resolutionen gegen den Irak, nicht unglaubwürdig zu werden. Das Versagen, am Ende keinen gemeinsamen Nenner in der Irakfrage erreichen zu können, schreibt er den kleingeistigen Europäern zu. Nie spricht er vom Krieg jedoch euphorisch, eher als ein notwendiges Übel.

Hart hingegen hält die Invasion für illegitim. Der kleine, schmächtige Mann mit den schlohweißen Haaren und dem getrimmten Schnauzer ist ein radikaler Kriegsgegner. Mit Ausnahme des Koreakriegs kann er keinem der von Amerika geführten Kriege seit dem Kampf gegen Hitler das Attribut „gerechtfertigt“ verleihen. „Ich weiß, was ein Krieg mit Menschen macht. Ich kann daher nicht mehr für Kriege sein. Friedliche Mittel der Konfliktlösung wurden selten konsequent angewandt“, sagt er nun auf einer Bank vor dem Museumseingang sitzend. Diesmal wartet McMillan im Auto.

Anders als McMillan ging Hart damals begeistert in den Krieg. Immer schon wollte er zu den Marines, Amerikas Elitesoldaten. 1943 wurde er in den Pazifik verlegt, kämpfte sich Insel für Insel Richtung Japan vor. Es mag unglaubwürdig klingen, sagt er, aber den Krieg hat er fast genossen. „Es war eine riesiges Abenteuer. Und ich wusste, sollte ich überleben, werden dies die Grenzerfahrungen meines Lebens sein.“ Er erzählt von einer Situation, als eine Granate in den Schützengraben flog, nicht explodierte, ein Soldat sich auf sie warf und damit andere und ihn rettete. Er gibt zu, beschämt gewesen zu sein, überhaupt nicht ernsthaft verwundet worden zu sein, als ob dies ein mangelnder Ausweis von Heldenmut ist. „Ich weiß, dies klingt lächerlich, aber so war es.“

Seine Faszination für Raketen brachte ihn 1954 aus Neuengland nach Huntsville, um für von Braun zu arbeiten. Ursprünglich war er als Reporter für eine Zeitung in Boston tätig und recherchierte über dessen Raketenversuche in Cape Canaveral, Florida. Fortan recherchierte er für den Deutschen. Doch mit 50, während McMillan früh in Rente ging, sich auf Vollzeitfitness verlegte, für den Marathon zu trainieren begann und Golf spielen lernte, quittierte er seinen Job, ging erneut an die Universität, studierte Rechtswissenschaft und wurde Anwalt. Das war in den 80er-Jahren, Ronald Reagan regierte in Washington und führte seine „schmutzigen Kriege“ in Lateinamerika.

Unser Nationalstolz hat ein krankhaftes Niveau erreicht

Entrüstet, wie uninformiert die eigene Öffentlichkeit und unterbelichtet die eigene Presse über Amerikas Rolle in den Bürgerkriegen war, reiste er monatelang durch Zentralamerika, informierte sich vor Ort, nahm Kontakte zu Rebellen und Regierungen auf und wandelte sich wieder zum Reporter. Er reiste durch die USA und hielt Vorträge über seine Erfahrungen. In Nicaragua traf er Mitarbeiter von „Veterans for Peace“ einer Organisation mit 4.400 Mitgliedern in den USA. Er half mit, Hospitäler und Schulen in El Salvador und Guatemala aufzubauen und wurde später Präsident der Organisation. Sein Engagement wurde daheim nicht selten mit Argwohn beäugt. Er wurde und wird als unamerikanisch und unpatriotisch beschimpft. Er fühlt sich oft als Fremder im eigenen Land, denkt darüber nach, mit seiner Frau wieder nach Boston zu ziehen und zitiert Präsident Teddy Roosevelt, der Kritik an der Regierung zu ersten Bürgerspflicht erhob. „Unser Nationalstolz hat ein krankhaftes Niveau erreicht. Die meisten hinterfragen unsere Taten nicht mehr“, sagt Hart, und man spürt, wie sehr er an diesem Zustand leidet.

Später, beim Gang durch das Museum mit dem Charme einer NVA-Kaserne, schweigt er dann auch betreten, wenn der bullige Leiter, ein Hardcore-Republikaner und Vietnamveteran, vor Frontkarten und Waffensammlungen die derzeit beliebte Litanei der Konservativen herunterbetet über den Halbgott Reagan, der die Berliner Mauer quasi persönlich niederriss, den Friedensfürsten Bush, der den Nahen Osten befreit und das Unverständnis darüber, wie ein Feldzug, der einen Diktator stürzt, etwas anderes als richtig sein kann. Zum rebellieren ist er nun zu alt, sagt er hinterher.

Es ist der Krieg, in dem sie kämpften, der viele so ideologisch hat werden lassen. Vietnam hat die Nation geteilt. Hitler geeint. Zwei andere alte Männer, die an der Westfront im Einsatz waren – der eine geriet in deutsche Kriegsgefangenschaft, der andere schüttelte den Russen an der Elbe die Hand – besuchen an diesem Samstagnachmittag das Museum. Sie akzeptieren Harts Meinung zum Irakkrieg, reagieren zwar etwas befremdet, aber nicht feindselig. So wie McMillan. Keiner von ihnen käme auf die Idee, den Patriotismus des Marine-Infanteristen Hart anzuzweifeln.

Dann, bevor sie sich verabschieden, stehen beide, McMillan und Hart, für einige Minuten an ihre Autos gelehnt, müde vom vielen Erzählen und einig, dass Amerika im Irak zum Erfolg verdammt ist, denn die Geschichte lässt sich, Kriegsgegner hin oder her, nun mal nicht mehr zurückdrehen. So viel geredet über ihren Krieg haben sie lange nicht mehr. Überhaupt hatte es Jahrzehnte gedauert, bis sie sich anderen mitteilen konnten. McMillan, der sich nach dem Krieg sechs Monate auf der Farm seiner Eltern verkroch, desorientiert und schweigsam, begann erst vor wenigen Jahren über seine Erlebnisse zu sprechen. Hart sagt, seine Kinder wissen bis heute kaum etwas über diese Zeit. Stattdessen schrieb er sich mit wildfremden Menschen Briefe. Das Intimste ließ sich nur so mitteilen.