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Allein und auf sich gestellt

Allen Kürzungen zum Trotz halten die Sophiensæle an den Tanztagen fest. Die Einsamkeit junger Künstler:innen, die um Unterstützung kämpfen müssen, spiegelt sich manchmal auch in den Produktionen

Schleicht sich heran, beobachtet heimlich: „Lurker“ von Hanako Hayakawa Foto: Tanztage/Sophiensæle

Von Greta Haberer

Die diesjährigen Tanztage Berlin in den Sophiensælen standen unter einem schlechten Stern: zwei Monate vor der Eröffnung wurde bekanntgegeben, dass die Ver­an­stal­te­r*in­nen aufgrund der Haushaltssperre nur noch die Hälfte des Budgets zur Verfügung gestellt bekommen. Jetzt kommen noch die Kürzungen hinzu.

Für das Festival, das seit über 30 Jahren besteht und zu einem der bedeutendsten in ganz Europa für junge Künst­le­r*in­nen zählt, bedeutete dies: kleinere Formate, kleinere Teams, weniger Gruppenarbeiten und weniger Premieren. Das Team der Sophiensæle hat es trotzdem geschafft, zehn Produktionen ins Programm aufzunehmen und über zwei Wochen hinweg dem Berliner Tanzpublikum zu präsentieren. So gibt es in diesem Jahr jedoch zum großen Teil Solo-Performances zu sehen – wodurch das Festival an Qualität aber nichts einbüßt.

Am zweiten Wochenende wurden also zwei Soli in einem Double Bill präsentiert: „Lurker“ von Hanako Hayakawa und „Daybreak“ von Shade Théret. Beide beschäftigen sich auf ganz unterschiedliche Weise mit Außenseitertum und Entfremdung und üben Kritik an einer Gesellschaft, in der das soziale Zusammenkommen oft auf kommerzialisierte Angebote oder digitale Plattformen angewiesen ist.

Ein „Lurker“ ist eigentlich jemand, der*­die Nachrichten in Gruppen oder Chaträumen mitliest, ohne selbst daran teilzunehmen. Ein „Lurker“ lauert im Hintergrund, im Verborgenen, versteckt sich in den Schatten und beobachtet heimlich. So erscheint auch Hayakawas Lurker-Wesen auf der Bühne. In einem weiß-schwarzen flauschigen Ganzkörperkostüm und einer schlichten Maske schleicht es sich heran und beobachtet aus hohlen Augen das Publikum aus sicherer Entfernung. Das allein reicht schon aus, um ein gewisses Unbehagen zu kreieren.

Mit ans Nō-Theater angelehnten Bewegungen schwebt Hayakawa, die aus Japan nach Berlin gekommen ist, geisterhaft über die Bühne, kommt mal nah ans Publikum, mal zieht sie sich in die hinterste Ecke des Raumes zurück, um in absoluter Stille dort zu verweilen. Sie durchwandert mit einer gehörigen Portion Komik verschiedenste Emotionen und verzieht das Gesicht schelmisch, staunend, traurig oder schielend. So wandert das Wesen von Identität zu Identität.

Das meiste passiert in vollkommener Stille, nur zweimal erklingt monotone Musik, die wie eine Mischung aus Fahrstuhlmusik und Videospiel klingt. Diese Stille zusammen mit den minimalistischen Bewegungen ziehen die Performance ein wenig in die Länge, was vielleicht auch als bewusste Herausforderung angenommen werden kann. Insgesamt schwankt die Arbeit immer wieder zwischen komisch und unheimlich-bedrückend. So wirkt der „Lurker“ am Ende doch sehr einsam auf der weiß-sterilen Bühne. Es stellt sich die Frage, ob er*­sie denn freiwillig im Außen verweilt oder ob es einfach keine Möglichkeit gibt, dazuzugehören.

Das ist bei „Daybreak“ anders. Hier verkörpert Shade Théret, die in San Francisco und am HZT in Berlin Tanz studiert hat, die Vagabundin, die der Gesellschaft den Rücken zudreht. Die Vagabundin hat sich dafür entschieden, außerhalb von allem zu leben, frei und anonym zu sein und ihren Platz in den Machtstrukturen der heutigen Welt nicht zu akzeptieren.

Wir sehen in einem kargen Hotelzimmer mit nur einem Fernseher und einem Ledersessel. Es stapeln sich Teller und auf dem Bildschirm wird genau dieses Zimmer nochmal abgebildet. Also auch wenn Shade Théret als Vagabundin versucht sich der Überwachung und der kommerziellen Ausnutzung ihrer sozialen Bedürfnisse zu entziehen, gelingt es ihr am Ende nicht. „Daybreak“ bleibt düster, vor allem auch dank der Live-Soundlandschaft von Lynn Suemitsu, die die bedrückende Atmosphäre steigert.

Dieses Jahr gibt es Solo-Performances zu sehen – Kürzungen halt

Die Vagabundin wandert unruhig hin und her, fläzt sich trotzig wieder auf den Boden. Sie scheint rastlos und gleichzeitig gelangweilt. Das Hin-und-her-Tigern wird mit der Zeit immer tänzerischer, immer wilder. Die Bewegungen changieren zwischen grazil und elegant und energetisch. Sie wirft das rötliche Haar durch die Luft, spielt mit den Muskeln und ist insgesamt unglaublich cool. Aber auch wenn hier dem Alleinsein und Außenseitertum mehr Eigenverantwortung innewohnt als bei „Lurker“, schwingt auch hier immer eine gewisse Einsamkeit mit. Diese verbindet beide Performances am Ende miteinander.

Es ist so wichtig, dass „kleine“ Performances wie die von Théret und Hayakawa gezeigt werden und Festivals wie die Tanztage weiterhin existieren, um den jungen Künst­le­r:in­nen eine Bühne zu bieten.

Und es darf dabei auch nicht vergessen werden, wie viele Arbeiten, in die genauso viel Arbeit hineingeflossen ist, durch mangelnde Förderungen und schwindende Spielstätten, eben nicht gezeigt werden können. Es darf gehofft werden, dass die Tanztage auch im nächsten Jahr die Festivalsaison eröffnen können.

Die Tanztage in den Sophiensælen gehen noch bis 25. Januar

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