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Archiv-Artikel

Ich kenne Wahnsinn. Aber was ist Genie?

Schon vor dem Saisonabschluss heute ist alles klar: Bayern ist neuer Meister und Martin Petrov der spektakulärste Flügelspieler der Fußball-Bundesliga. Wenn der bulgarische Profi des VfL Wolfsburg etwas nicht hören mag, ist es das Vorurteil, er sei mehr Helden- als Teamfußballer. Von wegen Primadonna

Interview Peter Unfried

taz: Herr Petrov, sind Sie eine Primadonna?

Martin Petrov: Auf keinen Fall. Primadonnen spielen nicht Fußball.

Unlängst schossen Sie mal wieder ein grandioses Tor und sagten den Journalisten nach dem Spiel: Bin ich Primadonna, komm ich später.

Ja. Stimmt. Das war, weil ein Journalist der Wolfsburger Nachrichten das schon zwei- oder dreimal geschrieben hat. Das ärgert mich. Ich spiele hier vier Jahre und war nie eine Primadonna.

Nach dem Tor rannten Sie zur Haupttribüne und machten seltsame Zeichen.

Das war nicht seltsam. Mit diesem Freistoßtor konnte ich zeigen, dass ich nicht darüber nachdenke, ob ich gehe oder bleibe. Ich weiß ja, dass manche sagen, ich denke nicht mehr an Wolfsburg. Sondern, dass ich nächste Saison in Spanien spiele. Oder woanders.

Denken Sie nicht?

Nein. Wenn ich einen Vertrag in Wolfsburg habe, bin ich 100 Prozent Wolfsburg. Das ist bei der Nationalmannschaft auch so: Spiele ich für Bulgarien, bin ich 100 Prozent da. Und nur da. Ich werde ein bisschen nervös, wenn ich in der Zeitung lese, ich sei eine Primadonna oder ein Star.

Die Wolfsburger Anhänger nennen Sie Fußballgott.

Dafür sage ich auch ganz ehrlich danke. Aber Primadonna, das ist für mich, wenn Kinder kommen und ein Autogramm wollen oder Leute ein Foto machen wollen. Und ich sage: Nein, interessiert mich nicht. So bin ich nicht.

Wie sind Sie?

Ich bin ein ganz normaler Mensch, auch in Bulgarien …

wo Sie ein noch größerer Name sind …

… und ich vergesse nie, wo ich vor zehn Jahren war.

Wo waren Sie?

In Vzatza, 100 km von Sofia entfernt. In der 3. Liga. Ich war 16, ich hatte kein Auto, ich hatte ein Paar Schuhe und ein einziges T-Shirt.

Sie lachen darüber?

Ja. Aber ich vergesse es nicht. Ich vergesse meine Freunde nicht, mit denen ich gespielt habe. Ich vergesse niemals.

Sind Sie für einen EU-Beitritt Bulgariens 2007?

Ich bin kein politischer Mensch, aber ja: Ich bin dafür. Das ist ein großer Schritt. Ich hoffe, dass wir reinkommen.

In Deutschland oder Frankreich sind nicht alle begeistert.

Dort wo ich aufgewachsen bin, kenne ich viele, die ein unglaublich schweres Leben haben. Diese Leute erwarten, dass ihr Leben durch den EU-Beitritt besser wird. Vielleicht kommen ja wirklich bessere Zeiten.

Herr Petrov, manche verwenden für Ihre Art zu spielen die Redewendung „Zwischen Wahnsinn und Genie“.

Ich kenne Wahnsinn, aber was ist Genie?

Goethe, Einstein. Und spektakuläre Tore, die über den Spieltag hinaus bleiben – wie Ihres unlängst gegen den HSV.

Wenn du so ein Tor schießt, das ist wirklich unglaublich. Als ich den Freistoß gegen den HSV im Fernsehen sah … naja …

Sie haben bisher 11 Tore gemacht, 13 Vorlagen gegeben, gehören zu den drei besten Scorern der Liga – aber der Aufwärtstrend des VfL Wolfsburg hat nicht angehalten. Gewonnenes oder verlorenes Jahr?

Für mich?

Ja, für Sie persönlich.

Die Vorrunde war für mich super. Wir waren acht Spieltage auf Platz 1, die Nationalmannschaft hat super Spiele gemacht. Aber ich muss auch ganz ehrlich sagen, dass die Rückrunde ein bisschen verloren ist für mich. Ich habe nicht mehr so gut wie in der Vorrunde gespielt.

Parallel zum Team?

Ja, ein bisschen. Ich weiß, das ist auch so ein Minus von mir. Wenn du große Dinge gewinnen willst, musst du die ganze Saison auf hohem Niveau spielen.

Sie spielen auf der linken Außenbahn. Eigentlich Linksaußen, obwohl es das gar nicht mehr gibt.

Nein, ich bin kein Linksaußen. Wie ich spiele, sagt mir der Trainer jedes Mal neu. An der Linie, ein bisschen in die Mitte versetzt. Oder ein bisschen zurück.

Keiner flankt so hart und präzise wie Sie in der Liga.

Jeder Spieler hat seine Plus und Minus. Das sind meine Plus: meine Flanken, meine Schüsse, mein Laufen und Sprinten. Aber in der Bundesliga gibt’s auch andere, die so flanken.

Wie flankt man so?

Das ist ein Talent. Okay, das mache ich auch im Training, aber nicht speziell. Ich konzentriere mich nur auf den Ball und meine Flanke.

Die Emotion im Publikum steigt mit der Rasanz des Angriffs. Und es geht nicht schneller und emotional mitreißender als Petrov.

Das weiß ich nicht. Jedenfalls reagiert das Publikum bei einem Tor genauso, wenn ich geflankt habe, wie wenn ich das Tor selbst mache. Das ist ein Supergefühl, das kann ich gar nicht beschreiben, das ist unglaublich.

Einen exklusiven Arbeitsbereich Offensive gibt es nicht mehr. Probleme damit?

Nein. Ich hab gelesen, ich stände nur vorn rum. Das ist nicht fair. Ich arbeite viel. Meine Arbeit ist so, dass ich nach vorn und nach hinten laufen muss. Ich muss flanken, muss Tore machen, aber auch nach hinten viel, viel arbeiten.

Unlängst stellte Ihr Kollege Thomas Brdaric grinsend fest: Der Petrov hat auch Schwächen.

Genau.

Da grinsen Sie auch?

Jeder Fußballer hat Schwächen.

Aber keiner redet darüber.

Ach was: Ich muss an meinem Kopfballspiel arbeiten, mich beim Zweikampf besser konzentrieren. Und Stürmer wollen immer nach vorn. Nach hinten haben sie Probleme. Das ist auch mein Minus.

Macht Ihnen Verteidigen Spaß?

Falsche Frage. Es ist nicht mehr so wie vor zehn Jahren, als Stoitschkow in Barcelona spielte. Der stand an der Linie und wartete, bis Laudrup oder Bakero den Ball hatten. Dann ging es ab. Im modernen Fußball musst du 90 Minuten denken: Was muss ich in diesem Spiel für die Mannschaft machen? Nehmen Sie Mainz. Die haben nicht so viel starke Spieler, aber sie arbeiten alle zusammen.

Und Wolfsburg?

Wir haben das in der Vorrunde auch gezeigt: Wenn wir alle zusammen arbeiten, klappt auch alles.

In der Rückrunde …

… hat es mal hier, mal da nicht gestimmt, das merkt man.

Was hat nicht gestimmt?

Aaah, da gab es einige Dinge. Auch das Thema Petrov: Atletico oder Bayern oder Barcelona? Das sind so Sachen. Einmal hieß es, ich hätte Streit mit d’Alessandro, wir seien beide Primadonnen.

Stimmt auch nicht?

Nein. Ich weiß nicht, warum manche Leute immer schreiben, wir seien eine Sch…mannschaft. Es gibt keinen Streit in der Kabine, nichts.

Findet Ihr Nationaltrainer Hristo Stoitschkow Wolfsburg für Sie okay, auch wenn Sie weiter nicht international spielen?

Wir haben über das Thema gesprochen. Aber nur 15 Minuten. Er versteht die Situation, er hat mir gesagt, dass ich so weiterspielen muss und dass dann früher oder später die neuen Vereine kommen. Wir sind da einer Meinung. Hier krieg ich mein Geld. Ich habe Familie, ich habe Freunde, ich bin zufrieden hier, und wenn es nicht geht, bleibe ich eben.

Sicher?

Ich hab meinen Berater, und der macht das. Wir haben immer mal wieder Kontakte zu Klubs. Aber die sind nicht so, dass man sagen könnte: Okay, setzen wir uns an einen Tisch und sprechen über Vertrag und Ablösesumme.

Ihr Lieblingsurlaubsort ist Barcelona, ihr Lieblingsstadion ist in Barcelona, ihr Lieblingsklub der FC Barcelona. Warum?

Ich weiß nicht, Barcelona ist einfach mein Wunschklub. Ich war als Kind schon Fan.

Weil Stoitschkow da gespielt hat, der größte bulgarische Fußballer aller Zeiten?

Ja. Aber es ist nicht nur wegen Stoitschkow. Fußball in Spanien ist mein Lieblingsstil. Da sind viele Teams, die offensiv spielen.

Werden Sie irgendwann nach Bulgarien zurückgehen?

Ich bin 26, habe noch viele Jahre Fußball vor mir. Das ist jetzt in meinem Kopf noch nicht endgültig drin. Aber wenn Sie mich heute fragen: eher nein.