: Gas geben gegen Feinstaub
Aufgrund der „Luftrahmenqualitätsrichtlinie“ der EU drohen wegen zu hoher Feinstaubbelastung Fahrverbote in den Städten. Erdgasfahrzeuge gelten als praktikable Alternative zu Dieselfahrzeugen. Ihre Emissionswerte halten auch kommenden EU-Richtlinien stand – und sie sind bereits jetzt serienreif
VON KLAUS LEONARD
Neun Jahre lang hat sie ein weitgehend unbeachtetes Schattendasein geführt. Ihren sperrigen Namen kennt auch heute kaum jemand: Die Luftrahmenqualitätsrichtlinie, von Brüsseler Bürokraten auch liebevoll als 96/62/EG bezeichnet, wurde am 27. September 1996 vom Europäischen Rat erlassen, ohne dass es viele gekümmert hätte. Das hat sich kürzlich geändert. In den letzten Wochen hat diese Entscheidung viel Staub aufgewirbelt – genauer: Feinstaub. Seit Jahresbeginn 2005 legen Grenzwerte den Ausstoß von Feinstaub – und künftig auch von Stickoxiden – fest.
Das stellt vor allem Städte und Ballungsgebiete in Deutschland vor Probleme, da die neuen Grenzwerte dort meist nicht einhalten werden. Schuld ist der Autoverkehr. Verkehrsbeschränkungen werden nach Expertenmeinung die Folge sein.
Die Grenzwerte für die Feinstaubkonzentration von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter dürfen nun maximal an 35 Tagen im Jahr überschritten werden. In einer zweiten Stufe treten ab 2010 zusätzlich strenge Stunden- und Jahresmittelwerte für Stickoxide in Kraft. Die Grenzwerte für diese Luftschadstoffe werden bis heute nicht überall eingehalten. In Berlin, das Modellcharakter für verkehrsintensive Ballungsgebiete besitzt, wurden im Jahr 2002 in mehreren Stadtteilen Überschreitungen der Grenzwerte an 91 Tagen festgestellt.
Auch der Jahresgrenzwert für Stickoxide, eine so genannte Vorläufersubstanz des Reizgases Ozon, wurde in den vergangenen Jahren vielerorts überschritten. So werden auch andere Städte wie zum Beispiel Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, München oder Stuttgart, aber auch Paris und Madrid die Grenzwerte nicht einhalten können.
Feinstäube sind unsichtbar und werden auch von denen nicht wahrgenommen, die sie inhalieren. Und genau das macht sie laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) so gefährlich. Die feinsten Partikel haben Durchmesser von einem2,5 Millionstel Meter. „Grobe Teilchen werden in den oberen Bereichen der Atemwege abgeschieden und entfalten dort lokale Wirkungen. Aber wir husten sie rasch wieder hinaus“, erläutert der Umweltmediziner und Epidemiologe Heinz-Erich Wichmann. „Je feiner die Partikel sind, umso tiefer dringen sie in die Lunge ein und bleiben dann sehr lange dort.“ Die noch kleineren ultrafeinen Teilchen könnten sogar durch die Lunge in die Blutbahn, ins Gewebe und den ganzen Körper gelangen.
Das hat zwei Effekte zur Folge: in den Atemwegen selbst, aber auch in anderen Organen, insbesondere im Herzen. Wichmanns Fazit: „Je kleiner die Teilchen, umso größer sind die Schäden, die sie potenziell anrichten.“ Die WHO nannte in ihrem Gesundheitsreport 2002 bereits konkrete Zahlen: 100.000 Menschen sterben demzufolge allein in Europa Jahr für Jahr an den unsichtbaren Feinstaubwolken. Damit gingen 725.000 Lebensjahre verloren.
Ausgerechnet eine Technologie, die auch vorzeigbare Bilanzen aufweisen konnte, trägt erheblich zu den gefährlichen Emissionen bei: Dieselfahrzeuge verbrauchen im Vergleich zu Benzinern weniger Sprit. Deshalb wurde argumentiert, dass sie zur Eindämmung des globalen Treibhauseffekts beitragen würden.
Der vergleichsweise geringere Verbrauch hat dazu beigetragen, dass die Zulassungszahlen von Diesel-Pkws in den vergangenen Jahren rasant angestiegen sind. Auch Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) hat das Problem bereits umrissen: „Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Eindämmung der Feinstaub-Belastung aus Dieselmotoren.“
Doch serienmäßige Partikelfilter in neuen Dieselfahrzeugen deutscher Hersteller sind frühestens 2006 zu erwarten. So lange stehen den Kommunen statt technologischer Fortschritte nur drastische Maßnahmen zur Verfügung. Das Szenario: Dieselautos ohne Rußpartikelfilter müssen durch Verkehrsverbote zeitweise aus besonders belasteten Straßen oder gar aus den Innenstädten fern gehalten werden. Möglich wäre zum Beispiel die Einführung einer City-Maut nach Londoner Vorbild. Kommunen, die nicht handeln, drohen Klagen, denn mit der EU-Rahmenrichtlinie ist das Recht auf saubere Luft für die Anwohner viel befahrener Straßen auch einklagbar geworden. Umweltverbände haben bereits angekündigt, mit Hilfe von Musterklagen kommunale Luftreinhaltepläne dort zu erzwingen, wo Maßnahmenpläne noch nicht ausgearbeitet wurden.
Um einschneidenden Maßnahmen zu entgehen, müssen Dieselfahrzeuge technisch verbessert oder saubere Antriebsalternativen etabliert werden. „Ich bin daran interessiert, Fahrzeuge auf die Straße zu bringen, die heute schon die Abgasgrenzwerte von morgen und übermorgen einhalten. Dabei spielen Kraftstoff und Antriebsart zunächst keine Rolle, wohl aber die Wirtschaftlichkeit“, sagt Trittin. Seine Perspektive: „Erdgas ist hier sowohl unter Kosten-Aspekten als auch in puncto Umweltfreundlichkeit die einzige ernst zu nehmende Alternative zu herkömmlichen Kraftstoffen.“ Vorteil dieser Technologie: Die Autos emittieren keine Rußpartikel. Auch der Ausstoß von Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und Schwefeldioxid wird deutlich reduziert. Die Fahrzeuge sind auch für die nächste Stufe der Luftqualitätsziele gewappnet, denn sie halten bereits die ab 2010 gültigen strengen Grenzwerte für Stickoxide ein.