Auf das Messer kommt es an

Konzentration, Ehrfurcht vor den Zutaten und weltweit Rezepte stibitzen – das sind die Charakteristika der japanischen Küche. Lehrmeister ist das Messer. Eine seiner Lektionen lautet: Je sauberer der Schnitt in die Fingerkuppe, umso schneller die Heilung

VON JÖRN KABISCH

Zum Sushi kommen wir später. Die japanische Küche von den kleinen Reisröllchen ausgehend zu beschreiben, wäre so, als wenn man die Vielfalt der türkischen Küche vom Döner aus versuchte einzukreisen. Und wie der Fleischspieß eigentlich aus Berlin stammt, so kommt Sushi ursprünglich aus China.

Ich koche seit zwei Jahren eigentlich täglich japanisch. Das ist schlicht dem glücklichen Umstand zu verdanken, damals ein japanisches Kochmesser geschenkt bekommen zu haben. Im ersten halben Jahr freilich konnte ich alles andere als von Glück sprechen. Vor allem nachdem ich mir zum dritten Mal die Kuppe sauber vom Mittelfinger getrennt hatte.

Es war wirklich ein langer Kampf mit diesem Messer. Am Ende hatte es mir seinen Willen aufgezwungen. Und mich glücklich gemacht. Das kleine Beil ist aus gefaltetem Damaszenerstahl geschmiedet, skalpellscharf, rostet, wenn man es nicht gleich nach dem Gebrauch spült, abtrocknet und etwas ölt, und die Oberfläche ist so rau, dass Gurken- oder Zwiebelscheiben ständig daran festkleben. Für jemanden, der westlichen Profi-Köchen darin nacheifert, in Sekundenschnelle Selleriestangen in Streifen zu hacken, ist diese Klinge nicht gemacht. Das bewies mir die erste Fingerkuppe.

Heute nehme ich mir Zeit. Um die Kartoffeln für ein Gratin zu schneiden, braucht es doppelt so lang wie mit einem herkömmlichen Messer. Dafür verzweifelt man mit diesem aber, wenn man die Kartoffel in ein so hauchdünnes Carpaccio filetieren will, wie man es nur mit dem japanischen kann. Das sich dann gratiniert in ein butterweiches Etwas mit einer knusprig-krachenden Oberfläche verwandelt. Um es kurz zu machen: Dieses Messer zeigt einem, dass Details wie eine bestimmte Länge von Paprikastiften ein Gericht manchmal erst perfekt machen. Es wacht darüber, dass nicht Hektik, sondern Konzentration in der Küche herrscht. Es lehrt auch: Je sauberer der Schnitt an der Fingerkuppe, um so schneller wächst der Hautlappen wieder an.

Es ist die Ehrfurcht vor den Zutaten, die die japanische Küche unter allen Verwandten am meisten charakterisiert, und nicht nur deshalb könnte man sie auch die Cucina Asiens nennen. Die meisten Rezepte kommen wie die italienische mit weniger als einem Dutzend Ingredienzien aus. Und so wie die Italiener aus der arabischen Welt und dem Orient Gerichte stibitzten, haben sich auch die Japaner umgetan. Vor allem natürlich wurde viel aus China abgekupfert, erstaunlicherweise aber auch bei so bescheidenen Küchen wie der portugiesischen. Tempura nämlich – in Teig ausgebackenes Gemüse oder Fisch – stammt ursprünglich von der iberischen Halbinsel und schmeckt auf Nippon-Style gleich dreimal besser. Richtig baff aber ist man, wenn man das japanische Rezept für „Tonkatsu“ entdeckt: eigentlich nichts anderes als Wiener Schnitzel, nur aus Schwein, und statt Zitrone gibt es dazu eine dunkle Tunke auf Sojasaucen-Basis.

Eigentlich aber, auch das ist eine Parallele zu Italien, ist die japanische Küche ziemlich fleischarm und deswegen so vielfältig. Fisch, Reis, Nudeln, Gemüse, alles findet sich in den Kochbüchern, im Gegensatz zu anderen asiatischen Küchen fällt die sparsamste Verwendung von Kräutern auf, dafür kommt kein japanisches Gericht ohne irgendeine Art von Soja aus – sei es in Form von Tofu, Miso oder einfach Soße.

Und um die Philosophie der japanischen Küche kennen zu lernen, reicht ein Gang in die Videothek. Der Film „Tampopo“ ist eine Hommage nicht nur an die Nudelsuppe, sondern die japanische Küche schlechthin. Ein alter Küchenmeister wird da gefragt, ob man beim Essen mit der Suppe anfängt oder mit den Nudeln? Der Meister antwort „Wir beginnen zunächst einmal damit, dass wir mit den Spitzen der Stäbchen die Oberfläche der Nudelsuppe berühren, als wollten wir sie zärtlich streicheln.“ Und später heißt es: „Die Suppe ist das Leben in einer Schale.“ In eine japanische Nudelsuppe kommen neben Nudeln Schweinebraten, Bambussprossen, Seetang, Frühlingszwiebeln, ein paar Tropfen Sesamöl, natürlich Tofu und auch mal Garnelen oder pochierte Eier. Ein Fest. Doch auf die Brühe kommt es an, erzählt der Film. Sie wird aus Huhn und Schwein gekocht, und – hier nur ein Detail – unbedingt mit eiskaltem Wasser angesetzt.

Nun aber noch schnell zum Sushi. Den Fisch in Reis und Seetang zu rollen, soll ja so hoch kompliziert sein. Nur kältere Männerhände dürfen da ran, wird uns immer wieder erzählt, und ein Sushi-Koch brauche eine fünfjährige Ausbildung. Das Geheimnis des Sushi besteht aber einfach darin, welche Konsistenz der Reis hat. Darüber können Japaner schwadronieren wie die Italiener über das Risotto. In beiden Fällen soll der Reis Biss haben. Der Sushi-Reis muss darüber hinaus noch kleben, wenn auch nicht zu stark. Dafür wird er nach dem Kochen mit Zucker und Reisessig versetzt. Um das hinzukriegen, muss man einfach mehr üben, als für das Bedienen der Bambusmatte beim Rollen. Aber seit ich mein Messer habe, weiß ich auch, die Nachmittage, die ich gebraucht habe, bis ich einen funktionierenden Sushi-Reis vor mir hatte, waren nicht verloren.