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Archiv-Artikel

Zweitwichtigst

Viele historische Ereignisse und Ideen, wenige Bilder: die Ausstellung „Die Neuen Hebräer – 100 Jahre Kunst in Israel“ im Martin-Gropius-Bau in Berlin

VON JAN-HENDRIK WULF

Der „zweitwichtigste“ Freund Israels in der Welt sei Deutschland mittlerweile geworden, stellte Otto Schily in seiner Begrüßungsansprache im Berliner Martin-Gropius-Bau fest. In jedem anderen Kontext wäre diese Übergenauigkeit vielleicht ironisch erschienen und man hätte sich eher an die Formulierung des israelischen Außenministers Silvan Schalom halten wollen, der von Deutschland als einem „wichtigen politischen Partner und Freund“ sprach. Doch Schilys Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Die Neuen Hebräer – 100 Jahre Kunst in Israel“ war unmissverständlich: „Es ist ein wahres Wunder, dass wir trotz des millionenfachen Mordens von einer Freundschaft zwischen Deutschland und Israel sprechen dürfen.“

Wenn zum 40-jährigen Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen in Deutschland eine Schau mit über 700 Exponaten israelischer Kunst eröffnet, schwingen die tief verwurzelten Anziehungs- und Abgrenzungsreaktionen zwischen beiden Ländern untergründig mit. „Wir beklagen den Verlust unserer Symbiose“, vermutete die Kuratorin der Ausstellung, Doreet LeVitte Harten. Sie will „einen Dialog ohne Anklage und ohne Missmut“ anregen, „der behutsam mit der Vergangenheit umgeht, statt sie in erniedrigender Weise zu instrumentalisieren“.

So spielt die Schoah in der chronologisch-thematisch angelegten Ausstellung nur eine untergeordnete Rolle. Breiten Raum nehmen dafür jene historischen Dokumente des Staatsgründungsprozesses ein, der das Kunstschaffen der Neuen Hebräer überhaupt erst wieder ermöglicht hat. Gezeigt werden hier ebenso die frühen deutschsprachigen Dokumente des Zionismus, wie die erst 1956 bei Qumran aufgefundene Tempelrolle, von der ein 3,60 Meter langer Abschnitt erstmals außerhalb Israels zu sehen ist. Zuvor war das um 120 v. u. Z. verfasste Dokument, das für das Selbstverständnis des modernen Israel enorm wichtig ist, mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtes in Deutschland restauriert worden.

Schon aufgrund des biblischen Bilderverbotes spielte die Schrift in der jüdischen Diaspora immer eine größere Rolle als das Bild. Auch mit dem Beginn der zionistischen Besiedlung Palästinas, die im bewussten kulturellen Bruch mit der Vergangenheit eine neue Gesellschaft, einen neuen Menschen und neue Kunst erschaffen wollte, blieb der Skeptizismus gegenüber dem Bild erhalten. Kunstwerke dieser Zeit ordnen sich programmatisch eher der nationalen Identitätsfindung unter. Bilder der Landschaft thematisieren die Akkulturation an eine fremde Umgebung und propagieren eine engere Beziehung zum Boden. Darstellungen des Menschen zeigen den Pionier, der mit Spaten, Spitzhacke und Gewehr eine neue Gesellschaft aufbauen wollte. Buchstaben und Schrift blieben als traditionelles Mittel der Bildgestaltung erhalten.

Fast möchte man glauben, es läge im Konzept der Ausstellung selbst, eher historische Ereignisse und Ideen zu vermitteln, als Bilder zu zeigen. Doch wie die israelische Kunst in zunehmendem Maße die Brüchigkeit des zionistischen Ideals und die inneren Widersprüche einer von äußeren Kriegen bedrohten multikulturellen Einwanderergesellschaft reflektierte, emanzipierte sich auch ihre Bildsprache. Ironischerweise so, dass die Bilder das von ihnen Gezeigte nun selbst in Frage zu stellen begannen.

So vermittelt Nir Hods Bild „Lost Youth“ den ambivalenten Eindruck eines Soldatenbegräbnisses. Der auf Leinwand angebrachte Druck stammt von einem Foto, das den Künstler in einer Runde trauernder Soldaten zeigt. Allerdings leuchten die Gesichter der jungen Soldaten übernatürlich frisch und rosig, und Hod hat die ganze Szene noch um eine knallbunte Blumengirlande ergänzt – Jeff Koons lässt grüßen.

In der neueren Kunst scheint sich der Kriegszustand in lakonischem Realismus, heilendem Kitsch und Zynismus widerzuspiegeln. Wie in Yehudit Sassportas überdimensionierten japanischen Fächern oder in Eliezer Sonnenscheins bunten Maschinengewehren aus Holz, die mit Zigarettenreklame, dem Konterfei Che Guevaras oder dem Ikea-Logo verziert sind. Der in England geborene Doron Solomons wiederum thematisiert in seinem Film „Waffenbrüderschaft“ das Palästinenserproblem als den Konflikt siamesischer Zwillinge. Historische Begründungen spielen hier keine Rolle mehr. Kampfhandlungen und Attentate erscheinen in der Bildsprache des embedded journalism oder gleich als reine Computeranimation. Betende an der Klagemauer oder auf dem Tempelberg sind als kleine animierte Plastikfiguren zu sehen. „Alle Gebete waren vergeblich. Wenn mir mein Körper nicht gehört, wird er auch ihm nicht gehören.“, sagt der eine Kopf des siamesischen Zwillings und erschießt sich.

Völlig bilderlos bleiben bloß die arabisch-israelischen Künstler, da sich keiner von ihnen beteiligen wollte. Was nicht verwundert, passt ihre eigene Geschichte doch gar nicht in die 2000-jährige Tradition der „Neuen Hebräer“.

Dafür aber grüßt die „Black German Flag“ des amerikanischen Künstlers James Lee Byars mit der fragenden Aufschrift: „Move All The J.’s From I. Back To G.?“ Denn dass es bei allem Kunstinteresse der zweitbesten Freunde Israels eben auch um den deutschen Vergangenheits-Phantomschmerz geht, ist für die Kuratorin Harten ausgemachte Sache: „Kein Wunder, dass die Deutschen ihre Juden zurückhaben wollen, ihre Bubers und Rosenzweigs – doch stattdessen bekommen sie die Israelis, und das ist auch gut so!“