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Archiv-Artikel

Eine Ohrfeige für Renate Künast

PARTEITAG Die Berliner Grünen lassen ihre Exspitzenkandidatin bei der Wahl für ein zweitrangiges Gremium durchfallen. Künast leistet Abbitte, gibt Fehler zu – und wird im zweiten Durchgang doch noch gewählt

„Die Gelegenheit, wo sich Frust individuell entladen konnte“

MICHAEL CRAMER

AUS BERLIN STEFAN ALBERTI

188 Tage nach der Abgeordnetenhauswahl haben die Berliner Grünen ihre damalige Spitzenkandidatin Renate Künast für die verpasste Regierungsbeteiligung abgestraft. Bei der Wahl des neuen Landesparteirats am Samstag stimmten im ersten Wahlgang nur 48,3 Prozent der Delegierten für die Chefin der Bundestagsfraktion. Sie verpasste damit den vorgegebenen Mindeststimmenanteil von 50 Prozent. Von den neun Bewerberinnen auf die acht den Frauen vorbehaltenen Plätzen bekam sie das zweitschlechteste Ergebnis.

Künast steht seit dem Fiasko bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl in der Kritik. Als sie im November 2010 die Spitzenkandidatur übernommen hatte, lagen die Grünen in Umfragen bei 30 Prozent. Bei der Wahl im September kamen sie nur auf 17,6 Prozent. Anschließend scheiterten auch noch die Koalitionsgespräche mit der SPD. Parteiweit gab es Kritik, der Wahlkampf habe zu wenig auf Inhalt gesetzt. Die Linken vergrätzte Künast, weil sie sich lange ein Bündnis mit der CDU unter grüner Führung offenhielt. Die Realos verärgerte sie, weil sie eine Koalition mit der Union kurz vor der Wahl ausschloss. Allerdings schien sich der Landesverband nach monatelangen internen Grabenkämpfen wieder gefangen zu haben. Bereits im Januar hatte ein Sonderparteitag mit großer Mehrheit einen Schlussstrich unter die Fehlerdiskussion gezogen.

Künasts Abstimmungsfiasko beim Landesparteitag am Samstag kam daher für alle Seiten überraschend, zumal der Parteirat kein wirklich entscheidendes Amt ist. Das neu geschaffene Gremium soll künftig Abgeordnete und Parteiebenen besser miteinander vernetzen. Als das Abstimmungsergebnis für Künast bekannt wurde, herrschte für einen Moment absolutes Schweigen im Sitzungssaal. Künast selbst stieß mehrfach die Luft aus den geblähten Backen. Sofort war sie umringt von den beiden Landeschefs und führenden Realos wie Fraktionschefin Ramona Pop – allesamt mit Grabesmienen auf den Gesichtern.

Würde Künast noch mal antreten? „Das klärt sich gerade“, hieß es. Noch waren die sogenannten offenen Plätze im 21-köpfigen Parteirat zu besetzen. Künast bekam zehn Minuten Bedenkzeit, offiziell als „Unterbrechung“ deklariert.

Im Saal machten derweil Erklärungsversuche die Runde: Die Linken hätten sie nicht gewählt, verbreiteten führende Realos. Parteichef Daniel Wesener, der vom linken Parteiflügel stammt, wies diesen Vorwurf zurück. „Es war die erste Gelegenheit, wo der Frust sich individuell entladen konnte“, sagte der Berliner Europaabgeordnete Michael Cramer nach Künasts Durchfaller. Aber er war sicher: „Wenn sie noch mal antritt, wird sie mit großer Mehrheit gewählt“, sagte er der taz.

Doch was, wenn nicht? Einen zweiten Durchfaller würde Künast kaum verkraften können. Andererseits konnte sie den Tag kaum ohne Erfolgserlebnis beenden. Denn das würde ihre Chancen für die nächste wirklich wichtige Parteiwahl schmälern: die Kandidatenliste für die Bundestagswahl im Herbst 2013. Künast gilt immer noch als mögliche Spitzenkandidatin der Bundespartei. Doch könnte sie diesen Anspruch kaum aufrechterhalten, wenn sie es noch nicht mal in ihrem eigenen Landesverband in ein zweitrangiges Gremium schafft.

Nachdem aus zehn Minuten Pause rund zwanzig geworden waren, hatte sich Künast entschieden: Sie trat wieder an. „Ihr Lieben“, hob sie an, als sie zur Begründung ans Rednerpult ging. „Ich glaube, ich habe verstanden. Es war eine Botschaft für Dinge, die im Wahlkampf falsch gelaufen sind.“ Ein Kind hinten im Saal quakte „Wahlkampf“ nach, die Stimmung entspannte sich ein bisschen. „Ja, für manche ist das ein neues Wort – für mich nicht“. Sie habe auch vorher geahnt, „was da in manchem Herzen los ist“, sagte Künast. „Ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe. Aber das will ich aufarbeiten.“ Und dazu sei der Parteirat der richtige Ort.

Lauter Beifall folgte auf ihre Worte, auch von führenden Linken. Eine halbe Stunde später war das Ergebnis des neuen Wahlgangs da: Künast fuhr von den elf Bewerberinnen und Bewerbern das beste Ergebnis ein: 76,5 Prozent.