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Archiv-Artikel

Und ewig lockt die Mordgeschichte

ZEICHNUNGEN Marc van Eeden tut so, als ergäben seine Zeichnungen und Texte einen Sinn. Dabei führt er den Betrachter in die Irre – so auch jetzt in Hamburg mit seiner Serie „Witness for the Prosecution“

Je länger die Geschichte währt, desto klarer wird die Kluft zwischen Bild und Text

Ist es eigentlich wichtig, dass man die Geschichte begreift? Dass man ihr Protagonisten zuordnen kann, dass man jede Aktion versteht – nur, weil einem das alles als stringente Story verkauft wurde? Der niederländische Zeichner Marcel van Eeden meint: Nein, ist es nicht. Andererseits doch: Formal und inhaltlich ambivalent sind seine Zeichnungsserien, von denen eine derzeit unter dem Titel „The Zurich Trial. Part 1: Witness for the Prosecution“ in der Hamburger Kunsthalle hängt. Sie unterläuft konsequent, was sie suggeriert: die Existenz einer schlüssigen Geschichte, die er da, Bild für Bild, an die Wände gepappt haben will.

Die ist aber reine Fiktion, hat sich van Eeden doch bewusst dem Prinzip Willkür verschrieben: Ausnahmslos alle – allerdings vor seiner Geburt 1965 entstandenen – Fotos und Bilder aus Zeitschriften und Büchern dienen als Vorbilder für seine kleinen Negrostift- Zeichnungen, von denen er seit 2003 jeden Tag eine ins Internet stellt. Er wolle, hat er mal gesagt, die Zeit vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zu seiner Geburt dokumentieren. Ein Prozedere, das zugleich frei macht für die Neukonstruktion von Realität.

Dabei ranken sich van Eedens Geschichten durchaus um reale Personen: um den Botaniker Karl McKay Wiegand etwa oder den Archäologen Oswald Sollmann. Unbekannte Leute allesamt, über deren Viten so wenig bekannt ist, dass man sie getrost erfinden kann.

In „Witness for the Prosecution“ hat er eine Mord-Geschichte ersonnen, deren Figuren vergangenen Serien des Künstlers entstammen. Auch scheut er sich nicht, Akteure etwa aus T. S. Eliots „Cocktailparty“ zu verwenden, wenn es ihm passt. Van Eedens Prozedere ist so raffiniert wie schlicht: Denn die Zeichnungen, die da nebeneinander hängen, haben inhaltlich nichts miteinander zu tun. Der einzige Link ist der fortlaufende Text, den van Eeden unter die Bilder stellte. Für die 150-teilige Hamburger Serie hat er Auszüge eines amerikanischen Krimis der 50er Jahre gewählt: „Dies ist die Geschichte eines Mordes“, beginnt, leicht melodramatisch, der Text, der die scharf kontrastierenden Bilder unterlegt, die Menschen, Räume, Dinge zeigen. Und dann soll der Betrachter möglichst atemlos verfolgen, was Sollmann & Cons. widerfuhr; wider Willen wird man hineingezogen in die nicht einmal sehr spannende Story.

Ein bisschen wundert man sich dabei, dass man immer weiterliest. Doch der Köder „Mordgeschichte“ ist ein wohl zeitlos wirksamer Trick, auf den man vor allem deshalb hereinfällt, weil einem angesichts des Zeichnungs-Sammelsuriums die verzweifelte Sehnsucht befällt, da Sinn hineinzubekommen. Zwei Kugeln neben dem Mond neben der Großstadt neben dem Stuhl: Wo spielt das, passiert das überhaupt nacheinander, und vor allem: Was kann es bedeuten? Sind dies Orte wichtiger oder belangloser Ereignisse; kann etwa jeder Karton zur Gruft mutieren?

Man weiß es nicht – weder zu Beginn der Lektüre noch am Schluss. Denn je länger die Geschichte währt, desto klarer wird die Kluft zwischen Bild und Text: Van Eeden hat die Schweißnähte kaum vertuscht. Man kann sich also nicht beruhigen, sich nicht ausruhen auf dem Angebot einer Narrative, das der Künstler da trügerisch machte. Und so muss man am Ende des Parcours eingestehen, dass man nicht versteht. Und dass einem die Story eigentlich nicht interessiert. Sondern die Qualität der Zeichnungen. Ein interessantes Understatement des Künstlers, einerseits. Andererseits eine schlaue Reflexion über Mechanismen des Erzählens.

PETRA SCHELLEN

Bis 27. 9., Hamburg, Kunsthalle