berliner szenen: Der Akku macht Probleme
Es ist mitten in der Nacht und kalt. Ich war bei einem Essen, bin vom Wein etwas angetütert und muss auf die Toilette, als ich eine Person in einem Rollstuhl bemerke, die seltsame Bewegungen macht. Irgendetwas stimmt nicht und wir sind weit und breit die Einzigen auf der Straße. Oh nee, denke ich, und bin sofort total misstrauisch. So was hat man ja schon gehört. Man wird um Hilfe gebeten, aber dann überfallen. Na gut, mich zu überfallen würde sich nicht lohnen. Ich habe noch genau 42 Cent Bargeld bei mir und auf meiner Bankkarte ist auch nicht viel zu holen. Es ist eine Frau in einer Leopardenhose, die jetzt ruft: „Entschuldigung, können Sie mir helfen? Der Akku ist leer, ich komme nicht weiter und wohne da vorne.“
„Okay“, sage ich misstrauisch, sehe mich um, ob ihre Kompliz*innen auf mich warten, rufe mich aber zur Ordnung. Die Frau ist zu leicht angezogen und es ist eiskalt. Ich versuche den Rollstuhl zu wenden, wie ich es von früher kenne, aber das Ding hier ist kaum zu manövrieren. „Ich ziehe Sie“, sage ich. Sie bedankt sich tausendmal. „Der Rollstuhl ist neu, aber der Akku spinnt.“
„Das geht ja gar nicht“, sage ich. Im Haus bringe ich sie vor den Fahrstuhl. Sie ist nervös und mir fällt auf, dass sie vielleicht selbst Angst hat, dass ich ihr etwas tun könnte. Ich frage, ob sie es oben allein schafft, und sie versichert, dass das geht, kramt in ihrer Tasche und sagt, sie möchte sich erkenntlich zeigen. „Auf keinen Fall“, sage ich unangenehm berührt. Schließlich habe ich sie eben noch verdächtigt. „Wir sind fast Nachbarn und trinken lieber mal einen Kaffee zusammen?“, frage ich.
„Gern.“ Sie lächelt. „Ich heiße A. und wie heißt du?“ „Isobel“, sage ich.
Als ich nach Hause laufe, nehme ich mir vor, nicht mehr so misstrauisch zu sein, denn das hilft wirklich gar nicht. Isobel Markus
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