Komplizierter Koloss

Die NDR-Konzertreihe „das neue werk“ ehrt Pierre Boulez zu dessen 80. Geburtstag

Pierre Boulez ist ein verlässlicher Mensch, mehr noch: Er ist ein Fels in der Brandung. Als unermüdlicher Kämpfer für die Neue Musik vertritt der Pariser Komponist und Dirigent seine Positionen seit über einem halben Jahrhundert unbeirrt.

Immer wieder ist Boulez über die Jahrzehnte Gast in der avancierten NDR-Konzertreihe „das neue werk“ gewesen, einer der selten gewordenen Spielwiesen Neuer Musik in Deutschland – zum Beispiel 1957, mit den frisch komponierten „Structures“ im Gepäck. Zur dieser Zeit diente Boulez der moderne Roman als außermusikalisches Vorbild, vor allem die Arbeiten von James Joyce, in denen die Geschichten „keine festgelegte Beziehung, keine eindeutige Abfolge“ haben, wie Boulez später notierte. Zu Ehren seines 80. Geburtstages wird am kommenden Sonntag u. a. der zweite Teil der „Structures“ von 1961 erklingen. Das Stück liegt dann in guten Händen, nämlich denen des bedeutenden Boulez-Interpreten Pierre-Laurent Aimard, der zu den engsten Vertrauten des Geehrten gehört. Der Pianist Aimard wird das Publikum vor dem Konzert auch theoretisch in Boulez' Frühwerk einzuführen versuchen.

Bei allem Engagement für das Neue stand es nie in Boulez' Absicht, die Brücken zur Vergangenheit gänzlich abzureißen. Unvergessen der tolle Fernsehbeweis in einer frühen NDR-Dokumentation, in der Boulez voller Bewunderung um den von leichtem Altersstarrsinn gezeichneten Igor Strawinsky herumschleicht, um ihn schließlich doch auf einen Fehler in der gemeinsam studierten Partitur eines neuen Strawinsky-Werkes aufmerksam zu machen.

Unter der Leitung von Emilio Pomarico wird das NDR-Sinfonieorchester des Weiteren die deutsche Erstaufführung der Rilke-Vertonungen von Wolfgang Rihm spielen sowie einen weiteren der schwierigen Boulez-Klassiker: Rituel in memoriam Bruno Maderna (1975), bei dem sich das Orchester in acht Gruppen aufteilt – mit Blick auf das Boulez‘sche Gesamtwerk könnte man sagen: als Sinnbild für die fortwährende Verweigerung geschlossener Erzählungen.

Andi Schoon