: Tanz den Saddam Hussein
BOTSCHAFTSBESETZUNG Rund 40 Leute feiern einen Tag lang in der alten irakischen Botschaft in Pankow
„Ich finds geil, in ’ner alten Botschaft zu sein und die Zeit zu genießen“, sagt David und macht sich noch ein Bier auf. „Wo auf der Welt kann man das sonst außer in Berlin?“ Mit etwa 40 anderen ist er an diesem Samstagnachmittag in die alte DDR-Botschaft des Irak in Pankow eingedrungen, hat eine Musikanlage aufgebaut. Elektrobeats scheppern aus Laptops und schulterhohen Boxen. Der Strom kommt aus einem Generator, der dort vor sich hin tuckert, wo früher vermutlich die Botschafterlimousine parkte.
Auf der Terrasse wird getanzt, die Bar schenkt Bier und Schnaps aus, aber einige zieht es lieber in den Keller, „nachgucken, ob da noch Folterinstrumente von Saddam stehen“. Abgesperrt. Dafür gibt es andere Erinnerungsstücke aus der Ära Saddam Hussein: eine alte Zeitung mit einem Porträt des irakischen Tyrannen aus dem Jahr des Einmarschs in Kuwait 1990, mechanische Schreibmaschinen, ein rostiger Kühlschrank mit arabischem Energiesparlabel. In früheren Büroräumen stehen aufgerissene Schränke, Berge von Büchern liegen am Boden, Doktorarbeiten in goldgeprägten Einbänden, stapelweise Broschüren, die Touristen ins Zweistromland locken sollten oder den Diktator mit dem Schnauzbart mit seiner Armee zeigen. Auf Arabisch, für die Besucher nicht zu verstehen.
Samstag kurz nach elf hatte die taz die mysteriöse Einladung erreicht: „Geheimtipp: heute Botschaft squatten!“ Die ehemalige Botschaft zum „public space“ umformen, „ab 15 Uhr, bis die Polizei ankommt …“ Nach Hausbesetzer sieht am Nachmittag in der Sonne niemand aus. Nick, ein Australier, meint, er könne sich vorstellen, das Gebäude für Kunstaktionen zu nutzen. Einer hat die Idee, einen Schwulenporno darin zu drehen, „das würde so richtig provozieren“. Roy aus Israel scherzt, der erste Israeli in einer irakischen Botschaft zu sein, „zumindest in einer stillgelegten“.
Ihr Botschaftsgebäude haben die Iraker offenbar 1990 überstürzt geräumt, möglicherweise wegen der Wende – genauer weiß man das auch in der heutigen Botschaft Iraks nicht. Seither verfällt das Gebäude. Neben der Ruine stehen drei andere ehemalige Botschaftsresidenzen, darunter die Frankreichs. „Deutschland, Land der Ideen“ und „Ideen eine Zukunft geben“ steht jetzt an der Tür. Ein Wirtschaftsförderverein hat sie bezogen. Eine Mitarbeiterin sagt über das Gelände des Irak: „Man sieht da mal Penner raushuschen.“
Die Polizei kommt bis Samstagabend nicht. Was hätte sie auch tun können? Laut Auswärtigem Amt sind botschaftseigene Liegenschaften zwar nicht automatisch durch das Wiener Übereinkommen geschützt und damit ausländisches Hoheitsgebiet, aber Amir Musawy, Mitarbeiter der Botschaft des Irak, teilt telefonisch mit: „Das Gelände ist Hoheitsgebiet der Republik Irak, das Gebäude soll demnächst saniert werden.“ Bei der taz bedankt er sich: „Gut, dass wir das jetzt wissen.“ JAN MICHAEL IHL