„Ich möchte Leichtigkeit in der Sprache“

Als einer der interessantesten deutschen Pop-Song-Texter gastiert Sterne-Sänger Frank Spilker beim neuen Hildesheimer Literaturfestival „Prosanova“. In der taz erklärt er, warum er sich nicht unter dem Label „Gutes aus deutschen Landen“ vermarkten lässt. Und wie die Musik das Schreiben verändert

„Ich hasse Sätze, die mit‚Heinz Rudolf Kunze hat mal gesagt …‘ beginnen“

Interview: Markus Flohr

Pop und deutsche Texte? Mit dem nötigen Problembewusstsein haben das mal Tocotronic auf die leichte Schulter genommen. Sie sangen also: „Über Sex kann man nur auf Englisch singen …“ Und weil das halt in deutscher Zunge geschah, zeigten sie, dass das allemal möglich ist. Man muss nur wollen. Mit die interessantesten Beiträge kamen dabei in den letzten Jahren immer wieder von der Hamburger Band „Die Sterne“. Auf ihren Platten seit Anfang der 90er Jahre zeigen sie, dass durchaus tiefgründende Texte und Musik mit einem lockeren Hüftschwung kein Ausschlussverfahren sind. Was 1998 auch so was wie deutsche Repräsentionskultur wurde, als „Die Sterne“ vom Goethe-Institut auf Nordamerika-Tournee geschickt wurden. Texter und Sänger der Band ist Frank Spilker, Jahrgang 1966.

Herr Spilker, von Ihnen stammt die schöne Zeile „Ich scheiß’ auf deutsche Texte.“ Heute heißt es, Sie hätten „deutschsprachige Texte von generationsbegründendem Potenzial“ geschrieben. Wie geht das zusammen? Frank Spilker: Gemeint ist diese Zeile, dieses Lied – vorangestellt auf einer deutschsprachigen Platte…

das war das 1995 bei L’Age d’or erschienene Die Sterne-Album „Posen“…

…gemeint ist das jedenfalls etwa in dem Sinn: ‚Es kommt uns nicht darauf an, in welcher Sprache wir singen, sondern was‘. Es gab damals schon die Forderung nach einer Deutsch-Quote im Radio. Dieses Lied war unser Statement dazu, ich finde das nicht widersprüchlich. Es war eine Reaktion auf ständige Versuche, das, was wir machen, auf Samplern wie „Gutes aus deutschen Landen“ zu platzieren. Wir wollten und wollen dem Provinziellen in der deutschen Kultur entgegenwirken, uns international verorten und uns nicht nur national aufeinander beziehen. Alle Versuche, einen Hype oder eine Marketingstrategie über die Sprache oder die Staatsangehörigkeit zu starten, sind für uns schon mal scheiße.

Wird junge deutsche Literatur à la Christian Kracht, Benjamin von Stuckrad-Barre oder Alexa Henning von Lange nicht nach einem solchen Schema, als eine Art ‚neue deutsche National-Kultur‘ vermarktet?

Ja. Aber für die Künstler ist das schwer zu verhindern. Wenn etwas, das erfolgreich ist, aus Deutschland kommt – das kann auch auf Englisch sein – gilt es als Teil der ‚gemeinsamen Volksleistung‘. Gegen dieses Denken bist du machtlos. Wir Künstler lavieren uns da so durch und müssen halt bei jedem Vereinahnungsversuch deutlich machen, wie wir dazu stehen. Die junge deutsche Pop-Literaten-Szene ist in dieser Hinsicht sehr unterschiedlich. Was Benjamin von Stuckrad-Barre dazu schreibt, finde ich im Grunde recht reaktionär. Das ginge mir aber auch bei einem englischsprachigen Autor so.

Einige Pop-Literaten nennen Bands der Hamburger Schule, wie Tocotronic, Blumfeld, Stella und auch Die Sterne als ihre Inspirationsquelle, die Einfluss hat auf ihr Lebensgefühl, die Art zu schreiben, Dinge einzuordnen. Was halten sie davon?

Wenn jemand wie Benjamin das sagt, dann ist es so. Der Künstler weiß selbst am besten, wo seine Inspiration herkommt. Umgekehrt finde ich es schwierig, aus der Art zu schreiben, dem Duktus, den ein Autor oder eine Autorin hat, so etwas herauszuhören. Jeder Text hat seine eigene Dynamik, einen eigenen Stil. Der Geist ist vielleicht derselbe. Ich glaube allerdings, dass die genannten Autoren – Stuckrad-Barre, Kracht, Henning von Lange – ein paar Jahre jünger sind; eher eine Generation mit Tomte oder Kettcar, also der zweiten Welle von Hamburg-Bands. Die ‚Hamburger Schule‘ war eher ein soziales Phänomen, als wirklich ein literarisches, sprachlich-künstlerisches. Es gibt da einfach eine Grenze. Benjamin war beim Plattenlabel L’age d’or mal Praktikant – daher stelle ich nicht in Abrede, dass er seine Einflüsse aus dieser Szene bezieht.

Zur neuen „deutschen National-Popkultur“ hat sich diese Hamburger Szene jüngst sehr deutlich positioniert. Tocotronic spielten eine Single mit dem Titel „Aber hier leben, nein danke“ ein, Blumfeld verfassten im vergangenen Jahr gar eine Presseerklärung nur zu diesem Thema. Warum machen die Pop-Autoren und Literaten, die genau so vereinnahmt werden können, das nicht?

Bei denen passiert das nicht in dem Maße. Wer Prosa verfasst, den fragt kein Mensch, warum sie oder er eigentlich in der Muttersprache schreibt. In der Literatur ist es ein Marketing-Argument, dass ein Buch ‚in 16 Sprachen übersetzt‘ worden ist. Kennst du eine Platte, die in 16 Sprachen übersetzt ist? Die Frage nach der Sprache wie in der Popmusik gibt es nicht. Ich glaube, das dies noch ein Rest der traditionellen Sicht ist, des Pop-Klischees, das wir in Deutschland haben. Nach dem Motto: Pop ist etwas, das aus Amerika kommt, und das anders ist, als unsere europäische Kultur.

Wo ordnen Sie die Popmusik in eine europäische Tradition ein? Popstars und -sternchen als Dichter und Lyriker des 20. Jahrhunderts? Wären die Poeten abgelöst worden von den Stars des Musikbusiness?

Na ja. Als Künstler kannst du niemals erwarten, von der Kunst leben zu können. Die meisten Musiker können das jedenfalls nicht und arbeiten auch nicht darauf hin. Ich glaube, die Zeit, in der es total schick war, ein Lyriker zu sein, so einer wie Gottfried Benn zum Beispiel, ist schon ein wenig her. Damals waren die Poeten so etwas wie Popstars. Als Dostoijewski mit dem Buch „Schuld und Sühne“ das Thema des Groschenromans, die Kriminalgeschichte, in Hochliteratur hat einfließen lassen, fingen die Genres an, sich zu verschmelzen – auch dadurch, dass die Umgebung sich änderte. Bücher wurden billiger, Massenmedien entstanden langsam. Da musste sich jeder Künstler so seine Form suchen, viele sind auch sehr zufällig bei ihrer gelandet. Ich selbst habe auch nicht durch Nachdenken beschlossen, Rockmusiker zu werden. Ich war immer davon begeistert, zu schreiben. Und da war niemand sonst, der die Texte geschrieben hätte.

Heinz-Rudolf Kunze hat mal gesagt, „Die Sterne“ würden ihre Songs mit „poetischer Mühe“ schreiben. Stimmt das?

Ich hasse Sätze, die mit ‚Heinz Rudolf Kunze hat mal gesagt…‘ beginnen. Er sagt auch, wir würden „die Sprache gegen den Strich bürsten“. „Mühe“ und „bürsten“ klingen für mich erst einmal unsexy. Ich will nicht etwas machen, das nach Mühe oder Bemüht-sein klingt.

Aber sie geben sich so viel Mühe bei einem Song, als schrieben sie ein Gedicht?

Durch Musik und die Art, wie man sie vorträgt, verändern sich die Worte selbst und ihre Bedeutung sehr stark. Der Unterschied zwischen Lyrik und Songtexten ist einfach der zwischen gesprochener und geschriebener Sprache. Alles, was ich schreibe, ist nicht gemeint, gelesen zu werden. Sondern es ist gemeint, gesungen zu werden. Ich bin mit einem Text erst zufrieden, wenn er funktioniert wie Hip-Hop: Als säße jemand neben dir, der dir auf die Schulter klopft und ständig mit dir redet. Ich möchte eine Leichtigkeit in der Sprache erreichen. Das ist mir wichtig.

Das geht mit der deutschen Sprache?

Sie ist mir manchmal nicht lebendig genug. Meine Kinder und ihre Freunde erfinden aber zum Beispiel in der Schule ständig neue Wörter – das ist sehr spannend. Solange die Sprache sich weiter entwickelt, ist es ja egal, wie starr das Korsett ist.

Schreiben sich deutsche anders als englische Songs?

Total, ja. Ich spreche zwar fließend Englisch, habe keine Probleme, mich zu artikulieren, aber wenn du anfängst mit Reimen und anderen Begrenzungen, in denen ein Song funktioniert, dann wird es ganz oft haarig. Ich habe mich gewundert, dass es überhaupt geht. Wenn ich meine englischen mit meinen deutschen Texten vergleiche, sind die viel weniger komplex und auch inhaltlich platter – die Fremdsprache ermöglicht es, auf eine angenehme Art platt zu sein. Wer etwas Wichtiges zu sagen hat, sollte aber lieber bei den Sätzen bleiben, von denen sie oder er weiß, wie sie ticken.

In letzter Zeit ist das Roman-Schreiben auch unter Popmusikern in Mode gekommen. Warum gibt es noch kein Buch von Frank Spilker?

Ich würde gerne eines schreiben. Ich mache aber immer wieder die Erfahrung, dass ich es unglaublich anstrengend finde, längere Texte zu verfassen. Vermutlich darf ich die Ansprüche nicht gleich so hoch schrauben, wie bei einem Songtext. Das reibt mich unglaublich auf. Ich bin aber auch kein Schreiber, sondern ein Musiker. Andere Musiker schreiben schon viel länger.